Ein Krippenbild in der Baracke

Eine Weihnachtsgeschichte,die das Leben selbst vor genau siebzig Jahren schrieb.

Krippenbild Gemälde von Maria, Josef und dem Christkind

(c) E. Kriechel

Es ist ein guter Zeitpunkt, diese Geschichte in Worte zu fassen und sie zu dem derzeitigen Geschehen dazuzusetzen. Wer hätte damals gedacht, daß sich so Manches, wenn auch in anderer Form, wiederholen würde.

Wir, das sind meine Mutter, meine drei Jahre jüngere Schwester und ich. Vater ist in englischer Gefangenschaft. Wir sind nach langem Aufenthalt im Auffanglager Friedland in Flensburg-Mürwik im Lager Kielseng, ganz nahe der Marineschule in Mürwik, gelandet. Das heißt: Wir kamen in Baracke 15 in ein 40 qm großes Zimmer, in dem schon vier ebenfalls nicht vollständige Familieneinheiten Aufnahme gefunden hatten. Strohsäcke auf dem Boden, diese Fläche erstmal unsere Wohnquadratmeter. Immerhin nicht ganz so kalt wie auf dem Zementboden in Friedland.

In der Mitte dieses Zimmers eine Brennhexe, so nannte man eben diesen kleinsten Bollerofen. Froh, in Sicherheit zu sein, arrangierten wir uns alle. Das Allernötigste gab es täglich von der Lagerleitung. Vier Kinder waren wir nun in diesem Zimmer. Zwei zu klein, um selbständig draußen die Umgebung etwas zu erkunden. Aber Heini, bereits 15 Jahre alt, nahm sich meiner an, ich zählte gerade neun Lenze.

Das Nötigste organisieren

Wir beide versuchten nun jeden Tag, irgendetwas im erst nahen, später erweiterten Bereich um dieses Lager zu organisieren, so nannten wir es. Sei es ein noch so kleines Stück Holz für die Brennhexe, später dann am Güterbahnhof herabgefallene Brikett. Echte Schätze für die kalte Jahreszeit. Es ging auf Weihnachten zu. Mehr durch Zufall kamen wir auch an einer Caritas-Geschäftsstelle vorbei. Die merkte ich mir, davon hatte ich gehört, die halfen. Bei aller Not um das täglich Erforderliche keimte in mir doch mehr und mehr ein klitzekleiner Wunsch, irgendwie eine Weihnachtsfreude für meine Mutter zu besorgen.

Menschen auf der Flucht schw/weiß

(c) Bundesarchiv, Bild 146-1985-021-09 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0

Je näher das Fest rückte, desto mehr erstarkte in mir der Mut, doch einfach einmal zu der Caritas zu gehen. Die Damen dort empfingen mich sehr freundlich, das lockerte die Hemmungen, meine Bitte vorzutragen: „Ich bitte so sehr um eine kleine Weihnachtsfreude für meine Mutter“. So, es war heraus. Sie schauten mich an und fragten, an was ich denn gedacht hätte? Ich brachte hervor: „Wenn es irgendwie geht, ein ganz kleines Bild, keine Fotografie, nein, Kunst, kann auch ein Druck sein.“

Ein Schatz!

Sie staunten nicht schlecht und fragten, wo ich denn wohne. Das erklärte ich und dazu: „Es ist so trist in diesem Barackenzimmer, ein kleines Bild an der Wand würde nicht nur meine Mutter, nein uns insgesamt 15 Personen erfreuen“. Da schluckten sie und eine Dame verschwand in ein Hinterzimmer, da lagerten von den Einheimischen für Weihnachten gespendete Sachen. Irgendwie stieg in mir die Spannung bis zum Bersten, würde ich wirklich ein Bild bekommen?

Die Dame kam zurück und zeigte mir ein kleines Bild, die Christgeburt, einfach verglast, herrlich für mich. Ja, das war es, genau meiner Vorstellung entsprechend und dazu noch ein weihnachtliches Motiv. Wie freute ich mich, dankte aus tiefem Herzen, war wohl im Gesicht voll durchblutet und strahlte diese Geberinnen an. Dann nichts wie raus mit diesem Schatz zu Heini.

Mädchen mit Zöpfen ca. 1946

(c) Privat Kriechel

Dauerwürste und Buntstifte im Ranzen

Als ich mein Geschenk zeigte, schaute dieser nicht gerade begeistert, ahnte wohl, daß meine Mutter sicher etwas anderes nötiger hätte. Trotzdem fand er meine Idee gut, diese Stube mit einem Bild an der Wand aufzuwerten. Er forschte nach, wie ich zu diesem Wunsche gekommen sei. Ich erzählte von meinem geliebten Onkel Anton, der mir als Erstklässlerin einen Buntstiftekasten geschenkt hätte, danach wieder zurück an die Front mußte und gefallen sei. Dieser Onkel sah tiefer in mich als alle meine engen Verwandten.

Ich wollte malen, diese Stifte behandelte ich so sorgsam, daß ich sie auch mit auf die Flucht genommen habe. Alles Schulzeug hätte ich in wohlweislicher Vorausschau herausgetan, in meinen Ranzen Dauerwürste für die kommende Fluchtzeit gepackt, aber eben dazu als Einziges meine Malstifte und die hätte ich auch noch. Aber hier sei ja noch nicht einmal an Papier zu kommen, wie sollte ich da für meine Mutter selber ein Bild malen. Das hätte ich schon angedacht gehabt, so nun diese Lösung und die auch eben professioneller als ich es hinbekommen könnte. Heini begann zu verstehen und sagte nur: „Mal sehen, wie das ankommt“.

Ein Krippenbild wird zur Familiengeschichte

Ja, es kam an, aber nicht so, wie ich vorausgedacht hatte. Irgendwie schaute mich meine Mutter doch erstaunt an, daß mir nichts dringend Notwendiges eingefallen war. Sie freute sich dann aber doch, drückte mich an sich und suchte fortan, an einen Nagel heranzukommen. Sie fand einen und mit einem Stein wurde der in die Holzwand geschlagen, daran mein Geschenk gehängt. Nun schaute ich jeden Tag mit Wonne auf dieses Bild, ich hatte Kultur heimgetragen, die anderen schauten dann ebenfalls, aber nicht so feurig. Es schuf dann doch eine Weihnachtsstimmung, denn in dieser Enge der Stube hätte auch kein Tannenzweig gepaßt, das Bild nutzte eh freien Wandraum und nahm keinen Platz weg.

Aber ich glaube, bei aller Schenkfreude brachte es mir selber am meisten jeden Tag neuen Mut. So hat Mutter das Bild behütet und es mir dann bei meiner Hochzeit zurückgeschenkt. Alles könnte man von mir haben, aber noch nicht dieses Bild, denn es begleitet mich nun genau 70 Jahre lang und Weihnachten ist jedes Jahr. Es erinnert und mahnt mich, den kleinen Dingen den Vorrang zu geben. Die anzustreben, ist möglich, man nimmt sich nicht mehr heraus, als für einen wirklich nötig ist und würde dieser Gedanke mehr greifen, dann könnte man soviel Leid und Not auf dieser Welt mildern.

Nun lächelt mein Bild, ich ehre es in diesem Jahr mit Worten und die gebe ich dann auch weiter, soll doch diese schlichte Geschichte ein wenig Weihnachtsfreude in alle Herzen tragen, die offen dafür sind.

Elisabeth Kriechel

  3 comments for “Ein Krippenbild in der Baracke

  1. Hedwig sagt:

    Danke für diese Geschichte, Elisabeth!

    • Stock Isolde sagt:

      Ich war noch ein Kleinkind, geboren 1943 in der Nähe von Danzig, mein Bruder Uwe 7 1/2 Jahre älter und wir, mit unserer Mutter, landeten nach der Flucht aus Westpreußen vor den Russen im Lager in Kielseng. Dort hat unser Vater uns wiedergefunden. Ich besuchte in Kielseng den Kindergarten und wurde dort 1950 eingeschult.
      5 Jahre mussten wir (4 Personen) im Lager in einem Raum in einer Baracke verbringen. Danach fing 1951 ein neues Leben in NRW statt.
      Habe ich als Kind das Elend gespürt? Ich weiß es nicht… aber meine Eltern wurden das Entsetzen des Krieges nie mehr los, das habe ich immer gespürt und es hat Narben auf der Seele hinterlassen

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