Ambivalenzen

Unser Leben ist geprägt von Ambivalenzen, das heißt, sich gegenseitig bedingende Abhängigkeiten. Sie sind uns bekannt als

Liebe und Hass,
Mut und Verzweiflung,
Wut und Reue,
Trauer und Freude und so weiter.

Im Volksmund sind diese Ambivalenzen auch kurz und bündig zum Beispiel als Herz/Schmerz bekannt. (Memo: „süßer Schmerz“ , Schokoladenfabrik). Die Chinesen sprechen von dem Ying und Yang. All diese in ihren Gegensätzlichkeiten erlebten Erfahrungen sind nur möglich in dem großen Kontext von Leben und Tod.

Auf die Entstehung unseres Lebens haben wir keinen Einfluss, wohl aber in einem gewissen Rahmen an dessen Gestaltung. Das bedeutet, dass wir Entscheidungen fällen müssen, die uns mitunter an die Grenzen einer persönlichen Ambivalenz treiben.( z. B. Liebe und Haß). Hat man diese Lebenskrise überstanden – oft ein jahrelanger, schmerzhafter Prozess – hat uns das Leben geprägt. Wir kennen die Sprüche: Das Leben ist der beste Lehrmeister, das Leben wird sie/ihn schon schleifen, du lernst für’s Leben usw.. Wir sind dann also gesellschaftlich gesehen, reifer. Das heißt für mich, die Gefühle in den uns zur Verfügung stehenden Grenzwerten und Normen sind ausgereizt.

In diesem Prozess werden uns emotionale Ausbrüche, Auffälligkeiten abtrainiert. (Volksmund: Durch den Scheuersack.) Je nach Erfahrungsgrad werden die Grenzen bei einer neuen Krise weniger schroff gesetzt. Wir werden bereiter für Kompromisse, entwickeln Toleranz. In dem lebendigen Prozess der Entscheidungen wird entweder gewonnen oder verloren. (Volksmund: Einer zahlt immer drauf). In all diesen subtilen oder offen ausgetragenen Vorgängen werden Emotionen berechnet, benutzt, verraten, aber auch wieder aufgebaut! Denn ohne Gefühle können wir nicht leben! Ich denke, nach einigen Jahren Lebenserfahrung hat die Abhängigkeit der Emotionen von ihrem Gegensatz jeder einmal erfahren, und sich bewusst oder unbewusst danach gerichtet.

Da frage ich mich nun, warum wird die Ehe zwischen Trauer und Freude in unserer Kultur nicht akzeptiert? Warum ist es verpönt, in der Öffentlichkeit traurig und zugleich froh zu sein, wenn einem danach ist? Ist es, weil die im Abendland herrschende Religion (Kultur) alle menschlichen Bereiche unter Kontrolle hat, außer Leben und Tod? Daß sie in ihrer gesamten Geschichte nur Pflicht und Angst über diese elementaren menschlichen Vorgänge stülpte? Wir erlauben uns Tränen der Freude und Tränen der Trauer, aber wir erlauben kein Lachen während der Trauer. Ich respektiere den Grad der Betroffenheit des jeweiligen Gefühls. Die Skala zwischen tiefer Trauer und großer Freude ist aber breit. Könnte man nicht der Freude als ‚Stützmauer der Trauerarbeit‘ eine größere, öffentlichere Bedeutung geben, denn: Das Leben geht ja weiter!

Irmtraud Hansemann

Kleiner Steg im Grünen

(c) Barckhausen

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