Siebte Integrationswoche, Bremen-Bremerhaven 2021

Rede von Zeynep Sümer c/eigen

In diesem Jahr fand vom 01.-06. November die Bremer und Bremerhavener Integrationswoche statt. Da sich zeitgleich das 60. Jubiläum des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei am 30. Oktober 1961 näherte, lag der Fokus der diesjährigen Integrationswoche bei der Würdigung aller Anwerbeabkommen. Es fanden zahlreiche Veranstaltungen, Fotoausstellungen und Interviews mit Medienvertretern zu diesem Thema statt. Es wurden auch Filme und Berichte im Fernsehen und im Hörfunk hierzu ausgestrahlt.

Die Auftaktveranstaltung initiiert von der Senatorin für Soziales, Jugend, Frauen, Integration und Sport fand am 01.11.2021 im Kwadrat mit verschiedenen Gästen in Präsenz statt, wurde ergänzend auch im livestream allen anderen Interessierten online zugänglich gemacht.

Unter den zahlreichen, eingeladenen Gästen waren die Gastarbeiter:innen der ersten Generation, lokale Politiker:innen, Vertreter verschiedener Organisationen und Interessierte aus verschiedenen Nationen anwesend. Moderiert wurde die Veranstaltung von Frau Sevda Atik, sie selbst einen Migrationshintergrund hat und zu der sog. zweiten Generation gehört.

Es gab einen Impulsvortrag von Herrn Dr. Mahir Tokatlı. Im Anschluss daran hab es Beiträge von Frau Zeynep Sümer und Herrn Ayhan Gündoğdu, die über ihre persönlichen Erfahrungen als Gastarbeiter der ersten Generation berichteten. Die Veranstaltung wurde durch musikalische Beiträge der East-West-Trio Band abgerundet.

 

Staatsrat Jan Fries, hielt die Eröffnungsrede und zitierte gleich zu Beginn den Satz von dem Schriftsteller Max Frisch „wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“- der es schon 1965 mit dieser Aussage auf den Punkt brachte. Jan Fries stellte heraus, das die damaligen Gastarbeiter die aus Italien, Türkei, Spanien, Portugal und Griechenland kamen, nicht, wie von den meisten auch selbst geplant, wieder in ihre Herkunftsländer zurückgingen. Über die Jahre wurden Nachbarn aus ihnen, die unser Land als Einwanderungsland geprägt haben. Jan Fries betonte in seiner Rede, dass wir nur ahnen können, wie und unter welchen schweren Bedingungen, die ersten Gastarbeiter hier gelebt haben müssen. Sie arbeiteten unter harten Bedingungen in der Industrie, verdienten jedoch weniger als die Einheimischen. Sie lebten in Holzbaracken, die als Unterkünfte dienten und erlebten eine Entwurzelung, die Sehnsucht nach Freiheit, Gleicheit und Solidarität. Jan Fries betonte am Ende seiner Rede, wie wichtig es sei, diese Lebensleistungen sichtbar zumachen, ihnen Anerkennung und Respekt zu zeigen und ihre Verdienste öffentlich anzuerkennen.

 

Dr. MahirTokatlı, ist 1985 in Bremen geboren und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bonn.

In seinem Impulsvortrag hob er hervor, dass der Begriff „Gastarbeiter“ nicht mehr zutreffend sei, da Gäste in der Regel wieder irgendwann gingen. Die erste Generation der Gastarbeiter seien aber keine Gäste mehr, sondern schon lange fester Bestandteil der Gesellschaft. Die Migrationsgründe seien vielfältig: zum einen war Deutschland als Industrieland für viele sehr attraktiv, zum anderen führt er auch sog. Push-Faktoren an: das seien z.B. die wirtschaftliche instabile Situation und hohe Arbeitslosigkeit im eigenen Land oder auch politische Verfolgungen.

Die zweite Genaration der Migranten, die sogenannten„ Kofferkinder“ wuchsen zwischen der Türkei und Deutschland auf. Daraus resultierte eine unklare Zugehörigkeit zu einem der beiden Länder. Bei dieser Generation mussten sie sich „sowohl in die türkische als auch in die deutsche Gesellschaft integrieren“. Die dritte Genaration, zu der er selbst angehöre “brauche keine Integration“ da sie bereits als Teil der hiesigen Gesellschaft seien.

 

Zeynep Sümer, Jahrgang 1944 immigrierte Anfang 1972 nach Deutschland. Auch sie gehört zur ersten Generation der Gastarbeiter:innen. Sie ist ausgebildete Juristin und heute aktiv im Vorstand der SeniorenVertretung und im ZIS-Zentrum für Migranten und Interkullturelle Studien e.V. tätig.

Sie schilderte in ihrer Rede ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse der ersten Jahre. „Ich war Arbeiterin und habe am Fließband einer Fabrik körperlich schwer gearbeitet und musste mit anderen Frauen in einem Zimmer zusammen wohnen“. Neben der schweren körperlichen Arbeit, plagte sie das Heimweh zu der zurückgelassene Familie, zu der sie nur per Brief Kontakt halten konnte. Mangels Sprachkursen, gab es nicht die Möglichkeit, deutsch zu lernen.

Dennoch zieht sie eine positive Bilanz: aus den damaligen Herausforderungen hat sie Möglichkeiten geschaffen.

Dennoch stellt sie fest, dass die erste Generation heute wieder vor neuen Herausforderungen steht. Zum Beispiel die Angst im Alter zu erkranken und pflegebedürftig zu werden. Das Thema interkulturelle Kompetenz in der Pflege hält sie daher für ein wichtiges Thema und auch die spezifischen Probleme der alternden Menschen mit Migrationshintergrund. Auch bei dem Thema Digitalisierung sieht sie auf Grund von Sprachbarrieren besonderen Unterstützungsbedarf der Menschen der ersten Generation.

Sie hebt zum Schluss hervor, dass sie dennoch die Hoffnung hat, mit der Kraft und der Ausdauer von damals auch die Herausforderung der Gegenwart zu meistern, damit die Zukunft für alle Generationen lebenswert bleibt und ein friedvolles Zusammenleben möglich ist.

 

Ayhan Gündoğdu, geboren 1966 in Eskisehir-Türkei kam 1974 nach Deutschland. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist Vorstand im RaM-Rat ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Er ist ein sogenanntes „Kofferkind“ und hat als zurückgelassenes Kind der ersten Generation seiner Eltern, jedes Jahr darauf gewartet, nach Deuschland abgeholt zu werden (quasi mit gepackten Koffern) Er gesteht auch in seiner Rede, dass er nicht wirklich freiwillig nach Deutschland gekommen sei, da dies die Entscheidung der ersten Generation war. Er schilderte eindrucksvoll die vielen Situationen in der Schule, wo er auf Grund seiner Herkunft diskriminiert wurde, da er die deutsche Sprache nicht beherrschte.  Das habe ihn tief verletzt. Dennoch versuchte er aus eigener Kraft aus dieser Situation rauszukommen, was gar nicht einfach war, da seine Eltern die deutsche Sprache nicht konnten und im Grunde mit der Absicht da waren, nach ein paar Jahren der Arbeit wieder zurück in die Türkei zu gehen. Dennoch schaffe er es über Umwege eine Ausbildung zum Elektriker zu absolvieren und arbeitete über 30 Jahre bei Daimler. Herr Gündoğdu hat sich sprichwörtlich durchgeboxt in seinem Leben. Er begann als Jugendlicher mit dem Boxsport, darin war er gut und konnte sich und anderen beweisen, dass er auch Fähigkeiten hat, wie Disziplin und Ausdauer, so dass er sogar an deutschen Meisterschaften im Boxen teilnahm und gewann.

Zum Schluss hob er hervor, dass man Menschen mit solchen Lebenserfahrungen mit ihren Problemen nicht allein lassen darf und das es letztlich auch ein gesellschaftspolitisches Thema ist. Das war der Grund für ihn sich politisch aktiv zu engagieren, heute ist er aktiv bei RaM im Vorstand tätig.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass es eine sehr gelungene Veranstaltung war, mit einer ausgewogenen Mischung aus Fachwissen und persönlichen, teils emotionalen Schilderungen der damalige Zeitzeugin. Begleitet wurde der Abend von “East-West-Trio” mit wunderschöner Musik aus Anatolien. Frau Sevda Atik hat mit ihrer empathischen Art und warmherziger Stimme erfolgreich durch den Abend moderiert.

Am Schluss haben die eingeladenen Gäste des Empfangs bei einer leckeren Suppe die Möglichkeit gefunden, weiter zu diskutieren, sich austauschen oder sich einfach entspannt zu unterhalten.

 

 

Rückblick in die Vergangenheit.

Die diesjährige Integrationswoche hat uns zum Nachdenken gebracht. Ich besitze immer noch drei original Dokumente aus der Zeit, als ich nach Deutschland kam: meinen Arbeitsvertrag, meine Arbeitserlaubnis für zwei Jahre und den Reisepass. Diese Dokumente haben mich schon seit 50 Jahren begleitet. Es sind Bestandteile unserer Migrationsgeschichte.

In dem Arbeitsvertrag steht: Art der Arbeit “ungelernte Hilfskraft”, der Stundenlohn für Männer lag bei 7-9.- DM und für die Frauen bei 3,50-4.50 DM. Laut meines Arbeitsvertrages erhielt ich einen Stundenlohn in Höhe von 4.21DM auf Akkord. Die Menschen aus der Türkei, Italien und Griechenland kamen vom 1955 bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 als Gastarbeiter zum Arbeiten nach Deutschland. Mit welchen Visionen sie nach Deutschland kamen und was daraus geworden ist, unter welchen Umständen und Herausforderungen diese Menschen gearbeitet und gelebt haben, konnten wir während der diesjährigen Integrationswoche durch die Medien und vielfältigen Veranstaltungen anschaulich und berührend erfahren.

Anfangs kamen die Menschen als “Gast”; wurden von der Industrie mit “Willkommen” begrüßt, Jahre später wurden viele als „Ausländer” bezeichnet und ausgegrenzt, waren nicht (mehr) willkommen. Die Parole “Ausländer raus” hörte und las man an vielen Orten.

Es brauchte eine lange Zeit bis Deutschland endlich Anfang 2000’er Jahre als ein Einwanderungsland anerkannt wurde.

 

Die Jahre sind vergangen, aus den damaligen jungen Gastarbeitern sind erst Ausländer dann Migranten und nunmehr zuletzt Rentner:in geworden. All diese Menschen haben für den Aufbau der Deutschen Wirtschaft und für die Vielfalt in Deutschland einen großen Beitrag geleistet.

Die siebte Integrationswoche ist nun vorbei. Ich frage mich, was haben wir von der diesjährigen Integrationswoche mitgenommen? Wird sich etwas ändern in der Zeit bis die nächste Integrationswoche wieder stattfindet oder werden wir das nächste mal nur das Datum von der Integrationswoche ändern?!

Wir sind Zeitzeugen der ersten Generation der Gastarbeiter:innen und wir werden immer weniger werden. Es beschäftigen uns heute Themen, wie z.B. die gesundheitliche Grundversorgung und die gesellschaftliche Teilhabe. Unser Wunsch ist es immer noch, gehört und als Teil der Realität in Deutschland angesehen zu werden.

Dafür ist es noch nicht zu spät!

 

Zeynep Sümer

 

 

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