Brücken bauen statt Gräben ziehen

In meiner Nachbarschaft wurden Wohncontainer für Flüchtlinge aus Syrien eingerichtet. Abgesehen davon, dass es jetzt ein paar Menschen mehr in der Siedlung gibt, hat sich nichts verändert.

leere Sprechblase

(c) frauenseiten, Robers

Ich erinnere mich aber noch gut an den Informationsabend zurück, der die Anwohner ein Jahr zuvor auf den städtischen Beschluss vorbereiten sollte. Entgegen meiner unbedachten Annahme, dass dies bestimmt nur eine Handvoll Leute aus ihren gemütlichen Wohnungen hervorlocken würde, war die Veranstaltung brechend voll.

Umso überraschter war ich, als sich binnen weniger Minuten eine meterlange Schlange am Publikumsmikrofon bildete, sobald die Diskussionsrunde eröffnet worden war:
„Wie viele kommen denn da?“.
„Was sind das überhaupt für Leute?“.
„Muss ich mir jetzt Sorgen um die Sicherheit in unserer Nachbarschaft machen?“.
„Ich habe mir gerade ein Haus genau gegenüber gekauft. Jetzt sinkt bestimmt der Kaufwert und wer ersetzt mir das??“ Die Frau sprach mit Akzent. Sie komme selbst aus dem Ausland und arbeite nun in Bremen, erzählte sie. Die Finanzierung ihres Hauses habe sie sich hart erarbeitet.
„Wer garantiert uns, dass da nicht nur Mörder und Vergewaltiger kommen? Ich habe drei Töchter, können die dann überhaupt noch ganz normal draußen spielen?“ Das fragte mein Nachbar von gegenüber und spontan stiegen Gedanken in mir auf, wie ich heimlich sonntagnachts sein Auto mit Butter und Mehl beschmierte.
„Wie werden die Container aussehen? Die Leute sollen es ja nett haben und es wäre auch schön, wenn sie sich optisch ins Wohngebiet integrieren würden.“.
„Es wird extra einen Wachdienst für die Unterkünfte geben? Dann sind diese Leute so gefährlich, dass sie bewacht werden müssen? Na toll! Und wir als Steuerzahler dürfen das auch noch bezahlen!“

Kind schlägt sich lachend die Hände vor  das Gesicht

(c) frauenseiten, Barckhausen

Kulturschock um die Ecke

Völlig unvorbereitet, aber hart traf mich die Erkenntnis: Um einen Kulturschock zu erleben, musste ich gar keine weite Reise unternehmen, die Sorgen und Ängste meiner unmittelbaren Nachbar_innen reichten dafür völlig aus. Angesichts dieser unreflektierten Kommentare fragte ich mich, ob manchen Menschen nichts Besseres zu Kriegsverletzungen, existentieller Not und Traumatisierungen einfiele, als die Möglichkeit in ihrem eigenen Luxus des Friedens minimal gestört zu werden. Glücklicherweise gab es an jenem Abend auch noch andere Stimmen: Beruhigend viele Stimmen, die der egoistischen, xenophoben und engstirnigen Stammtischmentalität etwas entgegenzusetzen hatten.

Kinderzeichnung auf Asphalt

(c) S.Noll

Es kann so einfach sein

Vor einigen Tagen traf ich vor den besagten Wohnunterkünften einen kleinen Jungen. Er malte den Gehweg mit Kreide bunt und ein vorzeitig gealterter Mann sah ihm rauchend dabei zu. Der Junge schaute mir entgegen: „Hallo! Wie geht es dir?“ Mit piepsiger Stimme formte er etwas unbeholfen die Worte. „Danke, mir geht’s gut. Und dir?“ Der Junge versteckte sich schnell hinter dem Erwachsenen und kicherte verlegen. „Gut!“ hörte man es dann klar und deutlich hinter dessen Beinen sagen. Der Mann lächelte ein wenig, ich nickte ihm zu und dachte: „So einfach kann’s manchmal gehen: Brücken bauen statt Gräben ziehen.“

Sylvia Noll

  1 comments for “Brücken bauen statt Gräben ziehen

  1. Barbara sagt:

    Hallo, Sylvia, es stimmt: Begegnungen sind wichtig. Und wir lernen auch was dabei. Zum Beispiel können wir Älteren für die Flüchtlinge deutsche Konversation anbieten. Denn neben den Deutschkursen brauchen sie auch Gelegenheiten das Sprechen der deutschen Sprache zu üben. Die Bremer Volkshochschule bietet Patenschaften dafür an.

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