Ein italienisches Dorf gibt ein Beispiel

Dorette Deutsch beschreibt in ihrem Buch ein wegweisendes Projekt als Alternative zum Altenheim.

Schöne Aussichten fürs Alter, Buchcover mit fröhlicher Frau

Quelle: Piper-Verlag

Der Vater der Psychiatrie-Reform, Mario Tommasini, hat 2003 damit begonnen, eine andere Form unwürdiger Verwahrung ad absurdum zu führen, nämlich die Altenheime. Als erstes hat er sich dazu ein verlassenes Dorf namens Tiedoli unweit von Parma ausgesucht. Zunächst setzte er sich für den Erhalt der Bar als beliebten Treffpunkt der damals gerade dreißig Einwohner ein. Dort konnten die Gründer monatelang diskutieren, planen und Mitstreiter gewinnen.

Nicht teurer als übliche Heimplätze

Einige alte Häuser wurden renoviert, barrierefrei umgebaut, eine Sozialstation und ein ambulantes Betreuungssystem für die Tagespflege eingerichtet. Sehr kleinteilig nach und nach kam eins zum anderen. Die Anschubfinanzierung leisteten Auswanderer, die nun jedes Jahr wiederkommen. Dazu kamen später auch öffentliche Mittel. Das Schönste ist, dass nichts teurer wurde als die sonst üblichen Heimplätze. Zunächst machten die Ämter Schwierigkeiten. Das Gesundheitsamt und die Kommune waren dagegen. Die Leute der Initiative blieben hartnäckig bei ihrem Projekt. Auch der Pfarrer engagierte sich.

Durch das Altenprojekt entstand ein „Geist des Neuanfangs“. Alte Traditionen wurden wiederbelebt: Brot auf Kastanienblättern, Nudeln und Gnocchi nach alten Rezepten wurden hergestellt. Sie werden inzwischen landesweit vertrieben. Jüngere Leute zogen wieder in die verlassenen Häuser ihrer Familien. Ein älterer Maurer renovierte sie in der alten Bauweise mit Natursteinen.

Blick in die Bundesrepublik

Dorette Deutsch schildert auch interessante gelungene Projekte in Gelsenkirchen und Bielefeld. Dort bauen Wohnungsbaugesellschaften ihre Gebäude altengerecht um und organisieren ambulante Betreuungen. Denn Ältere sind durchaus attraktiv als Kunden: sie wohnen langfristiger, zahlen zuverlässig, machen weniger Ärger durch Lärm. Es lohnt sich also, alte Mieter durch Anpassungsmaßnahmen zu halten.

Ein Kapitel widmet Dorette Deutsch den Heimen. Es kann einem gruselig werden, wenn sie den Vertreter eines Vereins für Integrationsförderung zitiert: „Wir verdienen an der schlechten Pflege viel Geld.“ Sie schildert skandalöse Zustände, deren sich jeder zutiefst schämen müsste, der sie nur liest.

Die Autorin ermutigt die ältere Generation, sich bewusst und verantwortungsvoll für neue gesellschaftliche Entwicklungen zu engagieren, mitzumachen, mitzudiskutieren, mitzudenken für ein anderes Wohnen im Alter in der Nähe vom Leben der Jüngeren.

Dorette Deutsch: Schöne Aussichten fürs Alter, Wie ein italienisches Dorf unser Leben verändern kann, Piper Verlag, München 2006

Ausleihbar in der Zentralbibliothek Bremen unter SoP 1275 D

 

Elfie Siegel, 24.04.2013