Altengerechter Stadtteil – Altern in guter Gesellschaft
Seit 2008 läuft in den Bremer Stadtteilen Hemelingen und Obervieland das Modellprojekt „Aufsuchende Altenarbeit – Hausbesuche“. Sein Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen. Sie sollen über Hilfsangebote vor Ort informiert werden, die den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen, und sie sollen auch zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermuntert und vor Vereinsamung geschützt werden. Das Referat „Ältere Menschen“ (Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen) hat das Projekt mit Rat und Tat begleitet und dabei insbesondere mit dem Evangelischen Bildungswerk Bremen kooperiert. Letzteres übernahm auch die Qualifizierung bzw. Fortbildung der ehrenamtlichen Besuchsdienstler/-innen. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation wurde vom „Zentrum für Pflegeforschung und Beratung“ der Hochschule Bremen übernommen. Ursprünglich sollte das Projekt, für das auch die Bremer Senioren-Vertretung eingetreten ist, Ende Februar 2010 beendet werden. Aber dann wurde seine Laufzeit bis Dezember 2012 verlängert. Nun stand die Frage nach den Ergebnissen im Raum. Dazu fand am 28. September ein Fachtag statt, an dem die Erfahrungen gemeinsam mit den Fachleuten sowie den Vertretern der Politik und der Zivilgesellschaft ausgetauscht und diskutiert wurden. Am Schluss sollte herauskommen, ob und wie es weitergehen sollte.
Eine wichtige Voraussetzung für die aufsuchende Altenarbeit sind Netzwerke im Stadtteil. Viele ältere Menschen leben als Single, haben ihren Partner/ihre Partnerin verloren und die Familien leben in anderen Regionen. Zum Teil haben sie auch ihre Mobilität verloren und leben nun allein, zurückgezogen, oft auch recht hilflos im Stadtteil und finden sich nicht mehr ausreichend zurecht. Es bedarf der Unterstützung vieler Instanzen, z.B. der Ortsämter, der Polizei, der sozialen Dienste, der Gemeinden, der Migrationsverbände und nicht zuletzt der Aufmerksamkeit der Mitbürger/-innen. Die Netzwerkarbeit ist auch wichtig, um bereits Bewährtes besser zu nutzen.
Anfänge dieser Netzwerke waren in den Ortsteilen bereits vorhanden und haben sich dann weiterentwickelt. Sie sind eine wesentliche Basis für die hilfreichen Aktionen, zum Bespiel zur Überwindung von Misstrauen und Ablehnung und zur Einrichtung und Organisation von Fahrdiensten, Hausbesuchen, Haushaltshilfen, Einkaufsbegleitungen, gemeinsamen Spaziergängen, Besichtigungen oder Unterhaltungsveranstaltungen (gemeinsame Kinobesuche, Kaffeerunden, Bastelkurse). In vielen Gesprächen mussten und konnten Lebenssituationen überdacht und die Bedürfnisse und Wünsche der älteren Menschen erforscht und oft auch erst geweckt werden. Die Menschen wurden allmählich zusammengebracht, und es bildeten sich sogar Freundschaften. Im Verlauf der Modellarbeit wuchsen das Vertrauen und das Gefühl einer steigenden Lebensqualität und Zufriedenheit. Im Laufe der vier Jahre schlossen sich viele der Älteren dem Projekt an, und wenn sie heute besucht werden, denken sie: „Jetzt ist jemand für mich da!“
Ähnliche Projekte gibt es auch in anderen Bundesländern und Kommunen. Aber ein wesentlicher Unterschied zu ihnen findet sich in Bremen durch die Zusammensetzung der Akteure. Es arbeiten nicht nur hauptamtliche, sondern auch ehrenamtliche Kräfte mit. Außerdem wird nicht erwartet, dass die Menschen von sich aus die Hilfsangebote aufsuchen und zu den Helferinnen/Helfern kommen, sondern die Angebote werden an Betroffene herangetragen, die Hilfskräfte suchen sie gezielt auf. Dabei ergänzen sich die professionelle Arbeit der hauptamtlich Tätigen und die „niederschwelligere“ Arbeit gut aus- und weitergebildeter Ehrenamtlicher, wobei es nicht um Pflegedienstleistungen geht, sondern eben um Beratung, kleine Hilfen im Alltag und Unternehmungen zur Überwindung der Isolation und Einsamkeit.
Auch das Bremer Projekt braucht wie alle anderen bestimmte Rahmenbedingungen, um gut funktionieren zu können. Eine wichtige Rolle spielt ein Standort in möglichst zentraler Lage. Die Projektlaufzeit muss den Entwicklungsschwierigkeiten ange-messen lang sein, mindestens drei Jahre. Es muss fachlich qualifizierte, hauptamtliche Personen (zum Beispiel Sozialarbeiter) geben, die das Projekt kompetent leiten und koordinieren. Ebenso sind ehrenamtliche, fachlich fortgebildete Arbeitskräfte und Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich. Öffentlichkeitsarbeit ist immens wichtig, um eine „Komm-Struktur“ zu vermeiden und eine „Bring-Struktur“ zu entwickeln. Die Einwerbung von Projektgeldern spielt eine große Rolle, und ohne ein breit gefächertes, kooperativ und flexibel tätiges Netzwerk ist erfolgreiche Arbeit kaum zu leisten.
Wenn auch die Wirksamkeit solcher Projekte nicht eindeutig nachweisbar ist, wird das Bremer Projekt insgesamt als erfolgreich und für die Zukunft vorbildhaft beurteilt. Es lohnt sich auch, die „Aufsuchende Altenarbeit“ ohne Modellcharakter als selbstverständliches Angebot weiterzuführen und Gleiches oder Ähnliches in anderen Quartieren aufzubauen. Deshalb steht auch schon im Koalitionsvertrag der rot/grünen Regierung, man wolle dieses wichtige Angebot ebenfalls in anderen Stadtteilen „verstetigen und weiterentwickeln“, was ganz im Sinne der Senioren-Vertretung wäre. Die Zusammenführung von Menschen aller Generationen in solchen Quartiersnetzwerken dient letzten Endes als Gegenbewegung zu einer sich gegenwärtig zunehmend sozial spaltenden, überwiegend ökonomisch ausgerichteten Gesellschaft. (Quelle: Fachtag, 28.09.12, Logo mit Abdruckgenehmigung des Referats „Ältere Menschen“, SfSKJF)
Falls ein solches Projekt auch in anderen Stadtteilen eingerichtet wird, bedarf es dort vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter/-innen. Ohne bürgerschaftliches Engagement wird es sich nicht realisieren lassen. Die Senioren-Vertretung wird die Entwicklung beobachten, darüber berichten und, wenn nötig, bei der Suche nach Ehrenamtlichen helfen. Interessierte Mitbürger/-innen können Auskünfte einholen unter:
- Referat 32 „Ältere Menschen“ (SfSKJF), Daniela Alderate, Tel.: 0421-361 4094
- Geschäftsstelle der Senioren-Vertretung (siehe Kontakt)