Interview mit Frau Ricarda Möller von den ambulanten Versorgungsbrücken

Ricarda Möller, Vorständin von Ambulante Versorgungsbrücken e.V. /co: Ambulante Versorgungsbrücken

Interviewer: Meine erste Frage: Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass sie jetzt hier sind. Normalerweise würde man ja sagen: So etwas wie ambulante Versorgungsbrücken, was sich ja im Wesentlichen an ältere Menschen richtet, würde doch eher von den Betroffenen betrieben. Deshalb ist es überraschend, so eine junge Frau hier zu sehen.

Ricarda Möller: Ich komme aus einer Familie, die sehr alt ist. Ich bin die Älteste und hab noch einen kleinen Bruder und meine Eltern gehen stramm auf die 70 zu. Meine Großeltern leben nicht mehr. Mein einer Opa hat noch den ersten Weltkrieg mitgemacht und meine Oma, zu der ich sehr engen Kontakt hatte ist 1919 geboren. Sie ist 96 Jahre alt geworden. Das war der erste Einstieg, wo ich mitbekommen habe was älter sein bedeutet. Und auch immer in den Diskussionen, wie die Eltern meiner Freunde reagieren im Vergleich zu meinen Eltern, die ja noch mal 15-20 Jahre älter waren. Nach dem Abitur hab ich dann eine Pflegeausbildung begonnen und parallel studiert -Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt „klinische Expertise“. Das bedeutet, dass ich eigentlich für die Versorgung in den Krankenhäusern auf den Stationen zuständig war. Während der Ausbildung habe ich ein ambulantes Sonderpraktikum gemacht und dabei habe ich Elsbeth Rütten kennengelernt. Und als ich sie kennenlernte, hab ich mich über das Gesundheitswesen aufgeregt. Ich habe gesehen, dass alle so schlecht versorgt werden, nicht weil die Pflegerinnen und Pfleger oder die Therapeutinnen und Therapeuten so schlecht sind, sondern weil das System so viele Lücken aufweist. Da hab ich zu mir gesagt, du musst aufhören zu meckern, du musst was machen. So bin ich dann berufspolitisch aktiv geworden, parallel aber auch hier ehrenamtlich den Dialog zwischen den Generationen gefördert. Weil ich denke, dass es nur im Konsens  zwischen Jung und Alt funktioniert. Dann hab ich 2018 meinen Bachelor absolviert. Danach habe ich erstmal nur gearbeitet. Ich hab mich dann für den Master „Community and Family Health Nursing“ entschieden. Dann rief mich Elsbeth an und sagte, sie schafft das hier nicht mehr. Es ist eine sehr herausfordernde Aufgabe. Ich hab Ihr gesagt: Ok das passt gut, ich hab mich für den Master entschieden, da kann ich hier Erfahrung sammeln, und du zeigst mir wie das geht. Sie hatte aber nur 2-3 Wochen Zeit mir das zu zeigen, danach war die 10-jährige Feier. Anschließend ist sie sehr schnell krank geworden und dann hab ich den Verein übernommen. Ich hab schon viel früher gelernt was Lebenserfahrung bedeutet. Das wird stark unterschätzt finde ich. Deshalb freue ich mich, wenn ich mit meinem im Vergleich jugendlichen Alter noch die Kraft habe mich für ältere Menschen einzusetzen.

I: Wir haben ja gesagt, wir wollen sprechen über das Wohlfühltelefon, weil für uns das Thema Vereinsamung eine wichtige Rolle spielt. In der vorletzten Ausgabe hatten wir ein Interview mit Frau Flentge, die zuständig ist für die „präventiven Hausbesuche“. Dabei sollen ja jetzt Ältere angeschrieben werden zum Geburtstag. Ich finde Ihr Konzept mit den Wohlfühlanrufen ganz spannend und würde gerne mehr darüber erfahren.

RM: Das hat Elsbeth eingeführt. 2009 ist der Verein gegründet worden. Sie hat hier angefangen zu arbeiten und das Telefon hat nicht aufgehört zu klingeln. Und das nicht unbedingt, weil die Leute Beratung brauchten, sondern weil sie einfach schnacken wollten. Nicht, weil sie nicht andere Angebote wahrnehmen wollten, sondern weil sie es einfach körperlich nicht mehr schaffen da hin zu gehen. So kam Elsbeth auf die Idee: Telefonieren klappt noch, das kennen wir alle, das geht auch noch, wenn man nicht mehr gut laufen kann.

I: Mir fällt dazu ein, dass Marlene Dietrich am Ende ihres Lebens in Paris wohnend eine riesige Telefonrechnung hatte, weil sie mit ihren Bekannten in der ganzen Welt telefoniert hat.

RM: Ja, das fand Elsbeth ganz schön und hat dazu ein Konzept geschrieben. Bei den Wohlfühlanrufen ist da eine telefonische Dauerbegleitung.

Regina Sattler/ co: Ambulante Versorgungsbrücken

I: D.h: Ich rufe an und machen wir einen Plan.

RM: Also, wenn sie Interesse an einem Wohlfühlanruf haben, dann nehmen wir sie mit auf. Dann sprechen ich mit unseren geschulten WohlfühlanruferInnen. Das sind alles Ehrenamtliche, aber die kriegen einmal im Jahr Kommunikationstraining. Und die sind jetzt auch schon jahrelang dabei. Und eine/einer von denen ruf sie dann an. Erstmal ist das ein Schnuppergespräch: „Wie wohl fühle ich mich?“ Die meisten sind da total happy. Und dann werden sie einmal die Woche oder nach Absprache auch häufiger angerufen. Man unterhält sich über die Dinge über die sie sprechen möchten. Das geht ganz niederschwellig. Man muss nichts vorbereiten, man muss nichts lernen oder so. Man kann auch die Geschichten, die man seinen Kinder schon x-mal erzählt hat und die schon große Ohren haben, die kann man dann da gerne noch viele Male erzählen. Also es ist auch kein Problem, dass man vielleicht schon etwas vergesslich geworden ist und nicht mehr so genau weiß, hab ich das schon erzählt, oder nicht.

I: Dazu gehört ja dann auch, dass man sich dabei öffnet.

RM: Ja, die meisten, die das beziehen, die bekommen das schon jahrelang, da entstehen natürlich auch Beziehungen. Wenn man einmal die Woche mit einer Person jetzt 5 oder sogar 10 Jahre telefoniert. Da wird es ganz schön eng. So ist das für die Ehrenamtlichen auch eine tolle Möglichkeit gesellschaftlich teilzuhaben. Das sind auch hauptsächlich ältere Menschen die noch mobiler sind.

I: Da ist das natürlich auch so, dass diese Ehrenamtlichen über diesen Weg Zugang zu anderen haben.

RM: Ja, die kommen hier her, sitzen bei uns im Büro oder in der Teeküche und machen sich das da gemütlich und dann telefonieren sie ein zwei Stunden. Bei Corona mussten wir flexibler sein. Da gab es dann die Möglichkeit von Zuhause zu telefonieren. Bei denen, die das schon jahrelang machen ist das auch in Ordnung, für Menschen die hier neu Anrufer werden möchten, die werden natürlich erst hier eingearbeitet. Regina Sattler ist unsere Hauptamtliche, die das koordiniert. Alle 4 bis 6 Wochen gibt es hier ein Treffen der Arbeitsgemeinschaft Wohlfühlanrufe, Dann treffen die sich hier mit Kaffe und Tee und Keksen und tauschen sich aus.

I: Es ist ja auch wichtig, dass man die Erfahrungen der anderen hört.

RM: Ja manche werden ja auch zweimal die Woche angerufen und da gibt es dann die Möglichkeit sich auch eine Person zu teilen. Das findet der Angerufene auch gut, weil er dann Kontakt zu 2 Personen hat. Man tauscht sich aber nicht über Inhalte aus. Es gibt für jeden Ehrenamtlichen einen Vertrag wo Verschwiegenheitspflicht drinsteht.

Das kommt super an, wir haben zuletzt zwei Preise gewonnen.

Das ist ein bundesweites Angebot. Die Meisten kommen aus Bremen, aber wir haben auch Menschen aus Hamburg oder aus Aachen oder sonstwo angerufene werden.

I: Wie macht man das denn, das das nicht soviel Geld kostet.

RM: Wir haben eine Telefonflatrate. International sind wir aber noch nicht.

Einsamkeit ist ein großes Thema. Ich kenne eigentlich niemanden, der von sich aus sagt, ich bin einsam. Man sagt vielleicht manchmal alleine, aber einsam, eher nicht. Niedrigschwellig ein Angebot zu schaffen. Ich rufe da mal an und ich kann notfalls auch wieder auflegen. Das ist ein einfacher Zugang. Das macht dieses Angebot so interessant. Das man einen Wohlfühlanruf bekommt, damit ich mich wohlfühle. Im letzten Jahr haben wir über 450 Wohlfühlanrufe geleistet. Das ist schon ganz schön viel. Es natürlich nicht nur attraktiv für einsame Menschen, sondern auch für Menschen mit Einschränkungen. Also inklusiv.

I: Vielen Dank, dass sie sich Zeit für uns genommen haben.

Ricarda Möller ist Vorständin der „Ambulanten Versorgungsbrücken e.V.“

Das Interview führte Michael Breidbach

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