Erinnerungen an den Mai 1945 in Oldenburg

In unmittelbarer Nähe meines Elternhauses gab es die größte Oldenburger Kaserne, mit beachtlichem militärischem Potential und vielen Militärfahrzeugen, Garagen, großen Lagerhallen und einer den deutschen Soldaten zur Nutzung vorbehaltenen Sportanlage.

So waren mir 1945 als kleinem Jungen, der Anblick deutscher Soldaten in grauen Uniformen und den verschiedensten Militärfahrzeugen durchaus bekannt. Immer wieder  marschierten oder fuhren Deutsche Soldaten mit Militärfahrzeugen, teilweise auf der Ladefläche der Fahrzeuge sitzend, oft auch singend, an unserem Haus vorbei. Für mich und die vielen Pökse (es gab bei uns nur 5 bis 6 Jahre alte Jungen) war das immer ein Anlass, ein Stück des Weges neben den Fahrzeugen oder hinter den marschierenden Soldaten herzulaufen und ihnen zuzuwinken.

Vertraut waren mir die seit 1945 tagelang über uns in großer Höhe in Richtung Osten  hinwegfliegenden Bomberstaffeln, die jeweils mit lauten Geheul durch Luftschutzsirenen angekündigt wurden. Es waren alliierte Flugzeuge, die in Richtung Bremen und Hamburg unterwegs waren, um dort ihre Verderben und Vernichtung bringende Last abzuwerfen. Allerdings war bekannt, auf den Hinflügen in Richtung Osten war ihr Erscheinen ohne Bedeutung.

Sobald die Sirenen erneut ertönten und die zurückkehrenden Bomber in Richtung Westen fliegend, angekündigt wurden, flüchteten wir in die in unserem Garten ausgehobenen, mit Erde bedeckten Unterstand, der vor allem als Splitterschutz diente. Denn die zurückkehrenden Bomber hatten sich immer einige Splitterbomben für den Rückflug gespart, die sie dann über die benachbarte Kaserne und über militärischen Objekten abwarfen. Die Splitterwirkung der abgeworfenen Bomben, die auf die Kasernenanlagen niedergingen, waren für unsere mit einfachen Dachziegeln gedeckten Häuser sehr gravierend. Menschen wurden bei uns nach meiner Erinnerung nie getroffen. Aber fast alle Nachbarn hatten noch lange mit den von Splittern zerstörten oder durchlöcherten Dächern zu kämpfen, weil es nicht möglich war, die Dächer kurzfristig zu reparieren. Auch bei uns zu Hause auf dem Dachboden standen deshalb lange Zeit überall Töpfe und Eimer, um das durch die beschädigten Dachpfannen bei Regen eindringende Regenwasser aufzufangen.

Anfang Mai 1945, war der ganze Spuk mit Luftalarm, Bombenflugzeugen und Bombensplittern, mit marschierenden und auf Militärfahrzeugen transportierten deutschen Soldaten vorbei.

Die benachbarte Kaserne war von einem Tag zum anderen plötzlich menschenleer und verlassen. Die deutschen Soldaten waren verschwunden, alle Kasernentore und Türen in der Kaserne standen offen und waren für jedermann zugänglich. Schnell wurden überall Bollerwagen u.ä. mobilisiert, mit denen vor allem Frauen mit ihren Kindern im Schlepp die verlassene Kaserne betraten, die vielen Lagerräume begutachteten und alles mitnahmen was brauchbar erschien. Es wurde Tag und Nacht alles was nicht niet- und nagelfest war, mitgenommen.

Einige Tage später fuhren dann für uns überraschend, fremde bewaffnete Armeefahrzeuge bei uns vor, in denen Soldaten, in unbekannten braunen Uniformen saßen, die sich zunächst nicht in die nahen Kasernen trauten. Sie schlugen ein Biwak auf einer freien Lagerfläche einer benachbarten kleinen Lack- und Farbenfabrik auf. Schnell bekamen wir als Kinder mit, dass die fremden Soldaten Kanadier waren, die sich hier bei uns niedergelassen hatten und die das Geschehen an und in der nahen Kaserne zunächst skeptisch auf Distanz beobachteten.

Das Leben der fremden Soldaten in den Zelten und bewaffneten Militärfahrzeugen, erregte bei uns Jungen sofort allergrößtes Interesse. Wir fanden, als interessiert beobachtende kleine Zaungäste, sehr schnell das Interesse der freundlichen braununiformierten Soldaten und wurden schnell als neugierige Beobachter akzeptiert. Spannend war für uns vor allem, dass dort Essen zubereitet, auf offenem Feuer gekocht, Sachen aus Dosen gegessen wurde, die uns unbekannt waren und Waffen auseinandergenommen und geputzt wurden. Unsere neugierigen interessierten Beobachtungen wurden schon bald mit Süßigkeiten, Schokolade und mit uns unbekanntem Kaugummi belohnt. Leider endeten die freundlichen Begegnungen mit den Soldaten schon bald. Sie bauten ihr Biwak ab, um es in der inzwischen fast völlig ausgeräumten Kaserne wieder aufzubauen. Die Kasernen Tore wurden wieder verschlossen, und unsere Zeit als freundlich mit Schokolade und Kaugummi versorgte und beobachtende Zaungäste war vorbei.

Ekkehard Grimm

  2 comments for “Erinnerungen an den Mai 1945 in Oldenburg

  1. Kira sagt:

    Aus dem Blickwinkel des Kindes damals mit dem Wissen von heute
    über den “ 8. Mai 1945″ zu schreiben, ist spannend: ….wie ein Kind in bitterer Zeit glücklich ist,
    Alliierte nicht als Bedrohung sondern angstfrei und neugierig entdeckt und den Geschmack von Schokolade – war es Cadbury ? – und Kaugummi noch heute spürt.

    Ein Teil anschaulicher Lebensgeschichte und Zeitgeschichte !.

  2. Elfie sagt:

    1945 war ich fast sechs Jahre alt. Es muss 1944 oder 1945 gewesen sein: In Lüneburg waren Kriegsgefangene hinter einem Stacheldrahtzaun im Freien eingepfercht. Meine Mutter hat frisch gekochte Pellkartoffeln an den Zaun gebracht. Sie wurden von den ausgezehrten Soldaten dankbar angenommen. Ich war dabei und freue mich heute noch über die Idee meiner Mutter.
    Und noch eine Erinnerung: Lüneburg war nach dem Krieg von Engländern besetzt. In unserer Straße wohnten englische Familien. Wenn sie eine Brikettlieferung bekamen sind wir Kinder an die Lastwagen gegangen und haben heruntergefallene Kohlen aufgesammelt. Die Engländer ließen daraufhin immer Berge von Kohlen herunterfallen. Und wir Kinder sammelten eifrig für unsere Öfen.

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