Von der Zerstörung zum Wiederaufbau (1945-1961)

Barbara Johr

Zur Nachkriegsgeschichte der jüdischen Gemeinde in Bremen
Im Stadtteil Schwachhausen befindet sich seit 1961 das jüdische Gemeindezentrum. Die Grundsteinlegung erfolgte im Januar 1960 und war Höhepunkt intensiven Bemühens beim Wiederaufbau der Gemeinde. In seiner Begrüßungsansprache erklärte der Vorsteher der Israelitischen Gemeinde im Lande Bremen Carl Katz. Der Neubau sei Abschluss einer langen Periode, die von freundlicher Gesinnung getragen gewesen sei. Ohne diese wäre der Neubau nicht möglich gewesen. Prominenz aus dem In- und Ausland war zu Gast und Radio Bremen übertrug den Festakt. Für die Einweihungszeremonien kam der Oberrabbiner Dr. Melchior aus Kopenhagen, denn die Gemeinde hatte zwar seit 1956 einen Kantor, aber noch keinen Rabbiner. Dennoch: „Wiedergeburt einer Gemeinde“ titelte der Weser Kurier .
Blick zurück: Ende Oktober 1945 lebten in Bremen nur noch 130 Menschen jüdischer Herkunft, von denen fast die Hälfte getauft und ein Teil nichtjüdisch verheiratet war. Hinzu kamen etwa 300 Menschen mit nur einem jüdischen Elternteil und eine geringe Anzahl nichtjüdischer Ehepartner, deren jüdische Partner Opfer der Shoa geworden waren. Die Nachkriegsgemeinde, die sich im August 1945 gründet hatte, war bereit, sie alle zu betreuen.
Um den Wiederaufbau der Gemeinde bemühte sich bereits im Sommer 1945 die „Interessengemeinschaft der rassisch Verfolgten“ mit ihrem Vertrauensmann Karl Bruck. Wie zahlreiche andere hatte er die Jahre von Verfolgung und Vernichtung in Bremen überlebt, weil er nichtjüdisch verheiratet war. Im August 1945 lud er zu einer Versammlung (…) ein, auf der es zur Neugründung der Gemeinde kam. Man gründete sich als Religions- und Interessengemeinschaft mit den Abteilungen Kultus und Wiedergutmachung. Zur Aufgabe machte sich die Gemeinde, die Überlebenden zu sammeln und zu versorgen, religiösen, sozialen und materiellen Halt zu geben. Inge Berger, die Tochter von Carl Katz, erinnert sich: „Es gab keinen Unterschied zwischen uns Juden in Bremen. Wir waren eine große Familie.“ Auf Carl Katz fiel die Wahl zum Vorsteher der neu gegründeten Gemeinde. Er war mit Frau und Tochter im Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort befreit worden.
Nach der Befreiung wurde die (…) Gemeinde ein wichtiger Brennpunkt jüdischen Lebens im Bereich der britischen Zone. Bremen war amerikanische Enklave inmitten der britischen Zone. Ihr Einzugs- und Tätigkeitsbereich (…) reichte im niedersächsischen Umland bis nach Oldenburg und Bremerhaven, da hier als Folge der Shoa keine jüdischen Gemeinden mehr bestanden.
Zur materiellen und rechtlichen Absicherung ihrer Tätigkeit reichte die Gemeinde noch Ende 1945 beim Bürgermeister ein Verfassungsstatut ein mit der Bitte um Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Recht(e)s. Wegen des über die bremischen Grenzen hinausgehenden Einzugs- und Tätigkeitsbereiches wurde dies abgelehnt. Erst 1952 erfolgte die Anerkennung, der Senat verzichtete hierfür sogar auf die Bestimmung, dass die Mitglieder der beschließenden Organe die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen müssten, da insbesondere die deportierten Juden unter dem nationalsozialistischen Regime zum Teil ausgebürgert worden waren und ihnen nicht zugemutet werden könne, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben, nur um in Organen der Gemeinde mitwirken zu können. Das Fortlassen dieser Bestimmung habe den Charakter einer Wiedergutmachung.
In ihren Anfängen verfügte die Gemeinde weder über ein Gemeindehaus noch über finanzielle Mittel. Bremen war amerikanische Zone, und im Prinzip erwartete die Militärregierung, dass Senat und Behördenvertreter die Not der Überlebenden linderten. Doch angesichts der dramatisch schlechten Lage für die gesamte Bevölkerung war dies schwierig. Lebensmittel und Wohnraum waren knapp, die Stadt überfüllt mit Menschen auf der Suche nach Bleibe, Lohn und Brot.
Inge Berger berichtete über ihre Rückkehr in die zerstörte Stadt: „Wir erhielten einen Brief in Hamburg von dem Ehepaar Bruck, dass wir zu ihnen kommen sollten und blieben dort, bis die Amerikaner uns zu einer Wohnung verhalfen. Diese Wohnung wurde Zentrum der Überlebenden sowie der jüdisch-amerikanischen Soldaten, die interessiert waren, von unseren Erlebnissen zu hören und nicht zu vergessen, uns mit Lebensmitteln zu versorgen.“
Dank der Militärregierung, die hierfür das Gebäude Osterdeich 17 beschlagnahmte, gab es ab Ende August 1945 auch wieder ein jüdisches Gemeindehaus mit Gemeindebüro und provisorischem Gotteshaus. Viele Juden beschäftigte die Frage „auswandern“ oder „bleiben“. Auswandernde unterstützte die Gemeinde mit Rat und Tat. Doch Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bildeten jene, die blieben. Fast alle Mitglieder der Gemeinde waren in Not. Der größere Teil waren alleinstehende und ältere Menschen, die in Ghettos und Lagern gewesen waren und deren Familienangehörige Opfer der Shoa geworden waren. Für sie alle war der Beistand der Gemeinde von existentieller Bedeutung.
Das Gemeindebüro stellte Personal- und Fragebögen aus, um sich einen Überblick zu verschaffen, wer sozialer Betreuung bedurfte – noch 1951 sollte dies ein Drittel der Gemeindemitglieder sein. Zuständig hierfür war die „Zentral-Betreuungsstelle für aller vom Faschismus im bremischen Stadtgebiet verfolgten Deutschen“, die ab Mai 1945 existierte und dem Wohlfahrtsamt angegliedert war. Sondervergünstigungen für Mitglieder der jüdischen Gemeinde gab es nicht, so dass die Gemeinde eine eigene Wohlfahrtsabteilung aufbaute. Finanziell gefördert wurde diese Abteilung 1945 bis 1947 durch die Bremer Volkshilfe – eine karitative Einrichtung – und 1945 durch den Bremer Senat, der einen Vorschuss zur Unterstützung von KZ-Entlassenen gewährte.
Ein besonderes Anliegen war der Gemeinde die Wiederherrichtung ihres Friedhofs in der Deichbruchstraße (Hastedt). Seit der Reichspogromnacht 1938 waren die Friedhofskapelle sowie das Leichenhaus zerstört und die Gräberfelder verwüstet. 1945 hatten zudem Bomben einen Teil des Friedhofs getroffen. Nur wenige Tage nach ihrer Neugründung wandte sich die Gemeinde mit diesem Anliegen an Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Auf dessen Veranlassung wurde der Senator für das Bauwesen tätig. Unter Anleitung eines Vorarbeiters des Gartenbauamtes räumten 15 ehemalige aktive Nationalsozialisten Schutt von Wegen und Gräbern, füllten Bombentrichter, richteten Grabsteine auf. Eine Instandsetzung des Friedhofsgeländes war so geleistet, doch eine Bezuschussung der Instandhaltungskosten erfolgte erst ab 1956, nachdem Bund, Länder und Gemeinden jahrelang wegen der Betreuung der jüdischen Friedhöfe verhandelt hatten.
Noch länger zogen sich die Verhandlungen zur Rückerstattung und Entschädigung von Gemeindeeigentum und Gemeindevermögen hin. Betroffen waren der Friedhof (Grundstück Deichbruchstraße), die Synagoge (Grundstück Gartenstraße 6/heute Kolpingstraße 6), das Gemeindehaus (Grundstück Gartenstraße 7/heute Kolpingstraße 7) und das Jüdische Altersheim mit Nebengebäude (Grundstücke Gröpelinger Heerstraße 167 und Buxtehuder Straße 9). 1952 kam es zunächst zu einem ersten Globalabkommen zwischen der Israelitischen Gemeinde im Lande Bremen und dem Land Bremen über eine Pauschalsumme von 500.000 DM. Die Gemeinde verwandte die Mittel zur weiteren Instandsetzung des jüdischen Friedhofs und zur Instandsetzung des Altersheimes. Der Friedhof erhielt eine neue Kapelle und ein Ehrenmal für die Opfer der Shoa aus Bremen und dem Bremer Umland. Das Ehrenmal ging auf Bitte der Gemeinde in die Obhut der Stadt über.
Angesichts der Summe aus diesem Globalabkommen war nicht daran zu denken, eine Synagoge zu errichten. 1952 verlegte die Gemeinde ihr Büro vom Osterdeich 17 nach dessen Instandsetzung in das Jüdische Altersheim. 1957 schließlich konnte die Gemeinde – nach 1956 endlich verabschiedetem Bundesrückerstattungsgesetz – erneut Entschädigungs- und Rückerstattungsansprüche anmelden, und zwar als Rechtsnachfolgerin auch der Kultusgemeinden Aumund und Bremerhaven. Dort bestanden – eine Folge der Shoa – keine Gemeinden mehr. Außerdem wurde bei der Berechnung der Entschädigungssumme der aktuelle Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt.
Es ergab sich für das zweite Globalabkommen eine Summe von 1.325.000 DM, worin die Entschädigung für die Synagogen Aumund und Bremerhaven enthalten war. Abzüglich der 500.000 aus dem ersten Globalabkommen verblieben 825.000 DM für den Neubau einer Synagoge. Das Land Bremen übereignete der Gemeinde ein Grundstück und bewilligte zusätzlich Landesmittel. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Gemeinde, das neue Gemeindezentrum ohne Zuschüsse aus Landesmitteln zu unterhalten.
Im Synagogenneubau drückte sich der Wunsch nach Normalität und Integration aus: Wer ein Haus baut, der will bleiben.
Literatur
Meier-Hüsing, Peter: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Bremen, in: Stolpersteine in Bremen, Biografische Spurensuche, Mitte (Altstadt-Bahnhofsvorstadt), Bremen 2015
Johr, Barbara: Die Jüdische Gemeinde Bremen, Neugründung und Wiederaufbau 1945 bis 1961, in: Jahrbuch des Vereins für Niedersächsisches Volkstum e.V. Bremer Heimatbund, Mitteilungen 76. Jg. 2001 und 2002

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