Malen nach Zahlen?

Vielleicht kennen Sie das auch noch? Vor Jahrzehnten haben sich Kinder solche Vorlagen gewünscht – als Kreativität tötenden Zeitvertreib. Und ich weiß nicht, warum mir das in den letzten Tagen plötzlich in den Sinn kam. Vielleicht weil ich mich gerade mit so sehr viel Bürokratie beschäftigen muss, die mir auch die Kreativität abzutöten droht. Und leider gibt es diese Spielsachen immer noch. Vielleicht steckt ein böses System dahinter: Kinder frühzeitig auf langweilige Aufgaben in ihrem Leben vorzubereiten.

Zum Glück haben meine Eltern mich nie nach Zahlen malen lassen und so werde ich versuchen, mich aus dem Bürokratiedschungel wieder herauszuarbeiten. Denn es gibt viel Interessanteres zu tun.

Zum Beispiel unterstützen meine Kolleg*innen und ich beim ZIS die älteren Menschen, die sich tapfer durch die Pandemie hindurchschlagen und bereits wie viele andere, Stoffmasken zum Verschenken genäht haben, als im Handel noch keine Masken und erst recht keine FFP2 Masken erhältlich waren.

Was für ungeahnte Fähigkeiten zum Vorschein kommen. Frauen und Männer, die schon immer mit Verwandten in der Türkei oder anderen Ländern per Internet kommuniziert haben, um über weite Entfernungen in Kontakt zu bleiben. Für sie ist es keine große Sache jetzt mit ihren Freund*innen und Bekannten per WhatsApp zu kommunizieren.

Wir unterstützen mehrere Gruppen, die ehrenamtlich von Migrant*innen geleitet werden, in den Stadtteilen und Ortsteilen, Gröpelingen, Vegesack, Grohn und Kattenturm. Seit gut einem Jahr waren keine Treffen unter normalen Umständen mehr möglich, abgesehen von ein paar Ausnahmen im letzten Sommer. Trotz alledem halten die Gruppenteilnehmer*innen den Kontakt miteinander aufrecht. Einige berichten, dass die Pandemie sie sogar enger zusammengeschweißt habe. Die emotionale Unterstützung war und ist von unschätzbarem Wert. Es wurden WhatsApp – Gruppen eingerichtet, die regelmäßig miteinander kommunizieren. Neben Sprach- und Bildnachrichten werden auch Gruppenanrufe gestartet. Unsere Mitarbeiter*innen haben kurze Vorträge entwickelt, die über WhatsApp gehalten wurden oder auch als Dateien verschickt wurden. Somit wollten wir auch dazu beitragen, über aktuelle Entwicklungen in der Pandemie zu informieren, Schutzmaßnahmen zu kommunizieren oder in letzter Zeit, die Angst vor dem Impfen zu nehmen. Das Wichtigste ist aber aus meiner Sicht, die Stärkung und Unterstützung der Gruppenmitglieder untereinander.

Neugierig bleiben und voneinander lernen –  Unter diesem Motto haben sich die Ehrenamtlichen auch an online Treffen und zoom- Konferenzen gewagt. Und auch wir Mitarbeiter*innen lernen nicht aus: Menschen, die kein Internet haben, schalten sich per Telefon dazu!

Kreativität ist auch gefragt, wenn es um unsere Malgruppe geht. Da nur noch zuhause gemalt werden kann, sind die Hobbymalerinnen auf die Idee gekommen, ihre Bilder zu fotografieren und auch per WhatsApp zu verschicken. So bleiben der Austausch und der Ansporn zum Weitermachen bestehen.

Mit Schrecken habe ich gerade festgestellt, dass jetzt auch Erwachsene nach Zahlen malen – Zum Glück nicht unsere Hobbymalerinnen. Aber noch ein Grund mehr zu hoffen, dass Corona schnell vorübergehen möge, damit wieder mehr kreativer Austausch möglich wird und vielleicht weitere Hobbymalgruppen entstehen.

Text: Gudrun Münchmeyer-Eliş

 

Weitere Infos zum ZIS und zu den Gruppen finden Sie auf der homepage: zis-bremen.de

  1 comments for “Malen nach Zahlen?

  1. matu sagt:

    Zu der These „das Ende der Kunst“ und der Frage „ist das Kunst oder kann das weg ?“macht Andy Warhol mit seinem Werk „Landscape“ aus der Reihe „Do it yourself“ (im Museum Ludwig/ Köln gesehen) einen „Vorschlag für Sonntagsmaler“ indem er sein halbwegs ausgemaltes Werk nach genau vorgeschriebenen Anweisungen, Farben und Ziffern gemalt hat – im Zustand des Unvollendung einer Landschaft aber etwas neu „geschaffen“ hat mit Witz, Kreativität und Spaß. Zur zweifelhaften Angelegenheit des Malens nach Zahlen – Erstickung aller Kreativität ? – ein Werk im Besitz der Stable Gallery NY..

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