Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig…

(c)Barbara Matuschewski

„Denken Sie daran was Sie können, körperlich, geistig und nicht daran was sie nicht mehr können!“ rief er kürzlich dem Bremer Publikum – von jung bis alt – im vollbesetzten Saal der „Glocke“ zum Schluss nach einem Feuerwerk an Geschichten und Geschichte zu. Sehr viel Applaus der vielen aufmerksamen Zuhörer*innen, die im Rahmen der „Lesung und Buchvorstellung“ seiner Autobiographie anwesend waren.

Das siebte Leben

Auf die Frage „Gregor Gysi, in ihrer Autobiographie beschreiben Sie sechs Leben, die Sie gelebt haben. Und das siebte?“ antwortet er; „Das ist das Alter. Ich weiß nur noch nicht, wann es beginnt“. Sein Buch, inzwischen Bestseller, gibt offen Einblicke in seine Lebens – und Gedankenwelt, die DDR – Verhältnisse und – so schreibt die Süddeutsche Zeitung – „… darüber hinaus ist sein Buch ein bleibendes Geschichtswerk“. Gleich einem dramatischen Bühnenwerk, beginnt das 600 – Seiten starke Buch im Prolog mit dem einen Satz „Schon als Kind habe ich gelernt, dass man Sätze nicht mit „ich“ beginnen soll“. Das 1. Kapitel beginnt vice versa mit dem Satz „Ich kann von meinem Leben nicht behaupten, es verlaufe ruhig“. In der Rückschau auf Kindheit und Jugend vermittelte Gregor Gysi keine Ordnung des Erlebten; „wie unser Gedächtnis würfelt – Erinnerung springt wie das Leben selbst; und in der Rückschau eine Ordnung des Erlebten herzustellen, ist jederzeit ein unvollkommener Versuch. Oft bewahren wir nur Augenblicke“.  Am Ende des Werkes, das Nachwort, der eine Satz im Epilog: „Ich bin wild entschlossen, das Alter zu genießen“.

Lebensweg

Eine Lesung war es nicht, denn er wurde auf der Bühne interviewt und er stellte sich live den Fragen, erzählte aus seinen bewegten zahlreichen (sechs) Leben in der Jugendzeit, als Familienvater, Anwalt, Politiker, Autor und Moderator:  lebendig, spannend, amüsant, uneitel, eloquent und mit geistreichen Pointen und konstruktiver Kritik an politischen Systemen, Ideologien und Entwicklungen. „Erstaunlich, was sich alles ereignen muss, damit irgendwann das eigene Leben entstehen kann.“ Privilegiert aufgewachsen, mit jüdischen Vorfahren, väterlicherseits Chefärzte, und Bankiers, mütterlicherseits Großindustrielle, baltendeutscher Adel und russischer Hochadel, beschreibt er die Kindheit und Jugend in der DDR, die ebenso besonders war. Da sein Vater, Kultusminister in der DDR war,  kamen viele Gäste ins Haus aus Afrika, USA, Belgien, Großbritannien, und vor allem Frankreich; “wir hörten aufmerksam zu und unser Horizont wurde erweitert in einer für die DDR außergewöhnlichen Weise, die Welt kam zu uns“.

Interview

Im Interview erzählte er, dass er nach dem Abitur Pilot werden wollte und die  Einzigen die sich nach dem Erwerb des Pilotenscheins mit ihm  ins Flugzeug setzten und ihm vertrauten waren Lothar Bisky und Hans Modrow – sie blieben Freunde fürs Leben. „Man fliegt und schaut auf die Erde, aber so als blickte man zu etwas auf“ und ans Fliegen zu denken „ist ein Schweben zwischen Glück und Vorsicht – das gilt am Himmel und auf der Erde“ beschreibt Gysi das gemeinsame Gefühl. „Ab 1961 prägte die Mauer auch mein Leben. Bis 1988 hatte auch ich keine Chance, ein westliches Land zu besuchen.“ Anschaulich skizzierte er den Lebensalltag der DDR, die Ereignisse vor und nach der Wende, den Wandel, die Transformation und sein Leben als Politiker und Protagonist (im Buch mit Fotomaterial unterlegt). Nach dem Einschnitt durch Krankheit und Rehabilitation arbeitete er wieder als Anwalt für Scheidungen, Diebstahl, andere Delikte bis er dann wieder mit dem Wahlerfolg der LINKEN bis heute in die Berliner und Europäische Politik wirkt.

(c)Verlag

Mitgenommen

Mit auf den Weg gab Gregor Gysi (72) analog und im Buch seine Lebenserfahrung an das aufmerksame Publikum weiter, “…dass niemand das Recht hat, andere zu ihrem Glück zu zwingen. Man darf lediglich versuchen, einen Weg zu mehr sozialer, kultureller Gerechtigkeit aufzuzeigen“ und weiter „Solidarität ist auf diesem Wege keine Verlierer – Parole, sie muss der Hauptgegenstand menschlicher Mühen sein; gleichzeitig darf uns die Sorge nicht unfähig machen für die Lust am Dasein“. Wir haben nur dieses eine unwiederholbare Leben. “Ältere Menschen warne ich gerne davor sich nur noch über Krankheiten zu unterhalten“, denn die Folge dessen besteht – weiß Gott – nicht darin, dass man gesünder wird“ und zu Jung und Alt ruft er „Ja, ein Leben ist zu wenig …für das was wir wünschen, träumen, wollen! Bleibt vielfältig, beweglich, neugierig!“ Ein inspirierender Abend mit viel Esprit und begeisterten interessierten Bremer*innen

Barbara Matuschewski

 „Ein Leben ist zu wenig“ Gregor Gysi (Aufbau – Verlag, Berlin) 600 Seiten, E-Band 14,80

  1 comments for “Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig…

  1. Ellen sagt:

    Er hat schon Seltenheitswert, dieser Gregor Gysi: Ein Politiker, der nicht langweilt!!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert