Wie wir damals lebten: Schwarze Pädagogik

Klassenfoto

(c)Elfie Siegel

Ein Sommerkleid gegen einen Tornister

Ich sehe noch die Straße voller roter Fahnen, wohl 1944 zu „Führers Geburtstag“. Aber jetzt – im Herbst 1945 – ist es damit vorbei. Ich bin sechs Jahre alt und gehe zur Schule, jeden Morgen im Dunkeln eine Stunde Fußweg. Das Klassenzimmer ist  ein Provisorium. Die Bänke sind sehr hoch. Meine Tafel ist aus schwarz bemalter Pappe. Mit dem Griffel darf ich nicht stark aufdrücken. Sonst sind die Buchstaben für immer eingraviert. Den Tornister hat meine Mutter in der Tauschzentrale gegen ein selbst genähtes Sommerkleid bekommen.

Betroffen steht sie auf dem Tisch

Unser Lehrer liebt sarkastische Bemerkungen. Er zieht etwas daraus, Kinder vor der Klasse lächerlich zu machen. Ursula reicht nicht an die Tafel. Er rückt einen Tisch heran und hebt sie darauf. Die Klasse johlt. Mit der Kreide in der Hand steht sie da, kann nichts schreiben, so beschämt ist sie.

Eine fürchterliche Drohung

Einige Jahre später: Hermann heißt einer der Jungen in unserer Klasse. Er ist groß, kräftig, hat einen dunklen Teint. Und er hat quer über der Stirn eine schlecht verheilte große Narbe. Keiner weiß, was ihm passiert ist. Er ist zurückhaltend, wirkt zumeist etwas erschrocken. Das Lernen fällt ihm nicht leicht. Er hat nichts zu lachen bei unserem Lehrer. Der versteigt sich irgendwann zu der Bemerkung: „Aus dir wird bestimmt mal ein Verbrecher.“ Den Anlass zu dieser schrecklichen Drohung weiß ich nicht mehr.

Schüchterne mussten brüllen

Heute ist mir klar, dass damals großer Lehrermangel war. Die meisten waren im Krieg umgekommen. Es wurden sicher keine großen Anforderungen an die Ausbildung der „Pädagogen“ gestellt. Außerdem war in jenen Zeiten die „Schwarze Pädagogik“ angesagt. Das heißt Lehrer konnten ihre Machtposition ausbauen: Stockhiebe und Prügel für die Jungen, Knüffe und „Kopfnüsse“ für die Mädchen. Und das Verhöhnen und Lächerlichmachen waren an der Tagesordnung. Noch ein Beispiel: Derselbe Lehrer schickte Kinder, die zu leise sprachen, auf den Hof. Sie mussten von dort aus ihre Antwort brüllen.

Elfie Siegel

  4 comments for “Wie wir damals lebten: Schwarze Pädagogik

  1. Dorothee sagt:

    Ich bin auch von „alten“ Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet worden. Eine Lehrerin pfiff immer durch die Zähne, wenn wir unaufmerksam waren. Einmal war gar kein Lehrer zur Stelle, weil er als Direktor einen besonderen Termin hatte. Er rief mich nach vorn und bat mich ein Märchen zu erzählen. Meine Mitschülerinnen (rund 40) hörten mir zu und ich war dann häufig Geschichtenerzählerin. Ich glaube, ich hatte fast alle Grimms Märchen im Kopf.
    Dorothee

  2. Lilo Herzog sagt:

    Ich denke an meine Schulzeit nicht gern zurück. In den 5oer Jahren,
    volle Klassen, brüllende Lehrer, ich trug schon als Kind eine Brille,
    die mußte ich immer abnehmen, wenn ich eine Backpfeife bekam, manchmal
    fiel mir die Brille aus der Hand, dann lachte die ganze Klasse.
    Die schwarze Pädagogik hat doch über Jahrhunderte Untertanen
    hervorgebracht, man hat es doch gelernt zu gehorchen. Das Schlagen
    ist zwar heute verboten, dafür wird heute gemobbt.

    • Dorothee sagt:

      Ja, „heute wird gemobbt…“ Meine Enkelin hat das in der Grundschule erlebt. Sie war die einzige (Bio)deutsche in der Klasse und musste sich dumme Bemerkungen anhören. Mobben können nicht nur Lehrer, auch Mitschüler gehören dazu.
      Dorothee

  3. Sarah sagt:

    Hier wird jedoch eine Erinnerung von früher geteilt, für die ich mich bedanken möchte. Ich hoffte, einen informativen Austausch hier in den Kommentaren zu erhalten, daher danke ich auch Lilo Herzog für seinen Beitrag.

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