Das große und das kleine Vergessen

Miniaturfiguiren putzen eine Brille

(c) Schütte

Als sich ein älterer Golfspieler auf dem ersten Abschlag des Platzes zum Abschlag vorbereitet, kommt ein zweiter älterer Herr dazu. Der erste: „Wollen wir eine Runde zusammen gehen? Ich habe schlechte Augen, können Sie noch gut sehen, damit ich meinen Ball auch wiederfinde?“ „Meine Augen sind in Ordnung!“ Beide schlagen ab, der Erste: „Haben Sie meinen Ball gesehen?“ „Kein Problem!“ Nachdem sie beide etwa 150 Meter auf dem Fairway zurückgelegt haben, fragt der Erste: „Wo haben Sie denn meinen Ball gesehen?“ Darauf der Zweite: „Hab` ich vergessen!“

Bei vielen Seniorinnen und Senioren stellen sich im Alter Veränderungen ein, die das tägliche Leben behindern und erschweren. Mit der Erfahrung der Vergangenheit, einer dadurch erworbenen Routine und diversen Tricks kann vieles ausgeglichen werden.

Vergessen, Mann mit Shopper

(c) Elfie Siegel

Beim Einkauf im Supermarkt heute geht es um das Befüllen eines Einkaufskorbes oder Einkaufswagens aus den Regalen, ohne dass die Lebensmittel ─ wie früher im „Tante-Emma-Laden“ ─ benannt werden und ohne dass mit einer Verkäuferin Worte gewechselt werden müssen. Uns allen ist es schon einmal so gegangen, dass plötzlich ein Begriff, ein Wort, ein Name, der einem auf der Zunge liegt, nicht erscheinen will und wir dann das gesuchte Wort umständlich umschreiben müssen.

Ein Beispiel aus eigenem Erleben

Meine Mutter erzählte im Alter von etwa 83 von solchen Problemen. Gerne aß sie Brokkoli zu Mittag, konnte es jedoch beim Einkauf oft nicht benennen. Sie nannte es dann „grüner Blumenkohl“, und alle wussten Bescheid. Heute gibt es für die große Zahl von Flüchtlingen, die in unser Land gekommen sind, von Langenscheidt ein kleines Büchlein mit bunten Bildern der verschiedenen Dinge des täglichen Lebens, die man nur an der Ladentheke, beim Arzt, in der Apotheke oder wo auch immer zeigen muss, um sich ohne Worte verständlich zu machen. Etwas, nicht nur für Flüchtlinge!
Als ich meine Mutter später nach Bremen holen durfte, fand ich bei der Wohnungsauflösung in Hamburg diverse „Checklisten“, zum Teil für so selbstverständliche, banale Dinge wie: „Bevor ich das Haus verlasse…“, oder „Wenn ich über Weihnachten nach Bremen fahre“.

Vergessen, Demenzpatienten Die Buchstaben " Demenz " in einer Hand

(c) fotolia; JSB31

Wenn man als Sohn das nicht mitbekommt, weil doch ein paar Kilometer dazwischen sind, dann kann das auch schiefgehen. Es braucht auch eine Ehrlichkeit der Betroffenen, die oft nicht vorhanden ist. Meine Mutter gab selbst den Anstoß für ihren Umzug nach Bremen: „Ich kann mir selbst nicht mehr trauen!“ Der Besuch eines Neurologen war die Konsequenz, es gab den „Demenztest“. „Welcher Wochentag ist denn heute, Frau Mittermeier?“ „Ach wissen Sie, Herr Doktor, ich bin jetzt schon 84 Jahre alt, und da sind für mich Wochentage nicht mehr so wichtig!“ „Können Sie sich eine Zahl merken: 4873?“ „Nein, bestimmt nicht, wozu?“ „Und 25?“ „Das geht!“

Ein Abgang im Triumpf

Teddy auf Fensterbank

(c) Robers, frauenseiten

Alle Antworten zeigten mir, wie gut sie sich mit der Gedächtnisschwäche arrangieren konnte, um das tägliche Leben zu meistern. Nur schade, dass ca. 40 Aktenordner, liebevoll gestaltet und bestückt mit Unterlagen, mit den Bildern und persönlichen Texten und Mitbringseln aus 30 Jahren intensiver Reiselust von ihr in der Zeit im Rollstuhl oder später der Bettlägerigkeit nicht mehr nachvollzogen werden konnten. „Ach, da bin ich also einmal gewesen??“ Am Ende der Behandlung sagte der Arzt in Hamburg damals, dass ich etwas unternehmen müsse, wenn meine Mutter jetzt allein in Hamburg wohne. Im Rausgehen fragte er noch: „Ach, Frau Mittermeier, welche Zahl wollten Sie sich merken?“ Voller Stolz und überzeugt von der Leistung, die die Antwort für sie bedeutete, schmetterte meine Mutter ihm ein „24!!!“ entgegen, und wir verließen die Praxis.

Dr. Dirk Mittermeier

 

  4 comments for “Das große und das kleine Vergessen

  1. Eva sagt:

    Das mit dem Brokkoli war mir auch schon mal passiert. Aber der Neurologe hat gemeint: alles o.k.! Trotzdem habe ich mehr Angst vor Demenz als vor Krebs. Übrigens: Der Film „Das Leuchten der Erinnerung“ soll das Thema sehr gut behandeln.

    • Barbara Emma sagt:

      Im ersten Moment erschrocken, leuchtet mir Deine Angst vor Demenz ein..?Denn für mich habe ich zwar entschieden, eine eventuelle Krebserkrankung nicht behandeln zu lassen und bin somit evtl ein weni näher an einem selbst bestimmten Ende. Aber Demenz…das muss ein letzter, endloser Alptraum sein. Niemand weiß, wie sie verläuft!

      • JOSCHI sagt:

        Ich selbst (Jahrgang 1953) wünsche mir Hochaltrigkeit unter der
        Voraussetzung, dass ich meinen Humor, meinen Charme
        und meine Kreativität behalte/bzw. behalten darf (intelligentes
        Umfeld!)

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