Rückblick auf die Jahre 1968 – 1983

Alte Dame und junger Mann mit Megaphonen, davor viele Zuhöhrerinnen

(c)Foto: LIS Zentrum für Medien, Jochen Mönch.
Frau Bürgermeisterin Annemarie Mevissen und der Repräsentant des USB, Unabhängiger Studentenbund, Hermann Rademann rufen etwa 1500 Demonstranten zur Besonnenheit auf.

Ich erinnere mich.

Im Bremer Focke-Museum kann man jetzt in einer Sonderausstellung nachvollziehen, was in der Stadt zwischen 1968 und 1983 passierte: Es war die Zeit als Bremens wirtschaftlicher Absturz begann, als Schüler auf der Straße protestierten, Frauen sich gegen den § 28 wehrten, die Werft AG-Weser geschlossen wurde und Stadtplaner und Architekten Hochhausburgen bauten. Wer die Ausstellung besucht, wird auf vielfältige Art angesprochen: Bei Älteren werden Erinnerungen wach. Jüngere staunen, wie bewegt Bremen vor rund fünfzig Jahren war.

Beteiligte erzählen.

Der Raum, in dem die Ausstellung gezeigt wird, ist schwarz und dunkel. Das meiste Licht kommt von Fernsehern, die verstreut auf Tischen stehen. Über Kopfhörer erzählen Beteiligte von damals, an was sie sich erinnern. Joachim Barloschky gehört dazu. Er war als 16jähriger an den Schülerunruhen beteiligt und erinnert sich an Hermann Rademann, einen der Wortführer bei den Schülerprotesten gegen die Fahrpreiserhöhung bei der Straßenbahn.

Schülerprotest.

Hermann Rademann, mein Bruder, war der Grund dafür, warum ich die Ausstellung besucht habe: Ich wollte wissen, ob er, im Rückblick auf die Schülerproteste, noch eine Rolle spielt. Auf einem Foto vom Januar 1968, das der Weser-Kurier zur Besprechung der Ausstellung, jetzt am 2. September, veröffentlichte, steht er noch zusammen mit Bürgermeisterin Annemarie Mevissen auf einer Holzkiste. Beide mit einem Mikrofon in der Hand und sein Name steht darunter. Im Ausstellungskatalog fehlt sein Name in der Bildunterschrift… Um es kurz zu machen: Nach fast fünfzig Jahren spielt Hermann Rademann in dieser Rückschau keine große Rolle mehr.

Ein Mensch.

In dem dunklen Ausstellungsraum kommen meine Erinnerungen zurück: An den Bruder. An den kleinen Jungen, der mit seinem Charme alle einnahm. An den Wortführer der Schüler bei den Bremer Straßenbahnunruhen im Januar 1968, an seine Krankheit, seine Einsamkeit und seinen Freitod 1988. Neben hämischen Nachrufen (u.a. Barbara Debus in der taz) gab es damals auch tröstende.

Ulrich Reineking schrieb im „Bremer Anzeiger“: Ein Mensch (..) war Hermann Rademann (..).Die Welt, die er umdrehen wollte, hat ihn besiegt, aber nicht widerlegt… Ein Freund schrieb nach seinem Tod:…Hermann war von uns allen derjenige, der am besten die Wünsche und Hoffnungen der Menschen verstanden hat…Hermann hat vor 10.000 Menschen auf der Domsheide innerhalb von Sekunden die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtigen Worte gefunden, um die Dinge zu einem erfolgreichen Ende zu bringen…Viele von uns sind an der Zeit zerbrochen…Aber man muss auch die andere Seite sehen: Wir haben etwas ganz Besonderes und sehr viel Schönes und Aufregendes erlebt…“

Ja, so kann es einem in dieser Ausstellung ergehen: Erinnerungen kommen zurück, Altes wird zurechtgerückt, Blickwinkel ändern sich. Vielleicht werde ich die Ausstellung noch einmal besuchen und dann verstehen, warum mich damals der Frauenprotest nicht interessiert hat, das Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ dafür um so mehr und das bis heute!

Die Ausstellung läuft bis zum 1. Juli 2018. Dazu wird ein Rahmenprogramm angeboten. Alle aktuellen Informationen bekommt man unter http://www.focke-museum.de .

Kleine Brise

  1 comments for “Rückblick auf die Jahre 1968 – 1983

  1. Elfie sagt:

    Liebe Autorin der Kleinen Brise: Es freut mich, dass du auf diese Weise deinem Bruder ein kleines Gedenken bereitest. Und es tut mir sehr leid, dass du hämische Nachrufe ertragen musstest.
    Danke für deinen Mut, noch mal darüber zu schreiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert