Ein Gedicht zum 2. Advent / Theodor Storm sagt es deutlich
Ich bin froh, dass es die Vorweihnachtszeit gibt. Ich mag es, wenn in den Straßen vor den Geschäften kleine Tannenbäume stehen und die Schaufenster weihnachtlich geschmückt sind. Am schönsten aber ist es, dass überall Lichter leuchten und die Dunkelheit vergessen lassen. Bei mir zuhause sieht es noch nicht besonders weihnachtlich aus. Nur der Adventskranz ist schon geschmückt. Dafür habe ich gestern nach Gedichten zum Advent gesucht und – fast nichts gefunden, was mir gefiel. Dafür kamen Erinnerungen hoch, wie ich als Kind jedes Jahr ein Weihnachtsgedicht aufgesagt habe. Am besten war, als meine Eltern einverstanden waren, dass ich einige Jahre vor dem Tannenbaum immer wieder „Knecht Ruprecht“ von Theodor Storm aufsagte. Es war das einzige Gedicht, das ich ohne Stocken, aber mit guter Betonung vortragen konnte. Ich kann es auch heute noch fast auswendig. Das ist der Text:
Knecht Ruprecht
Von drauss´vom Walde komm ich her,
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Sah´ich goldene Lichtlein sitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
sah mit grossen Augen das Christkind hervor,
Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann,
da rief´s mich mit heller Stimme an,
„Knecht Ruprecht“, rief es, „alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
Das Himmelstor ist aufgetan,
Alt´ und Junge sollen nun
Von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
Und morgen flieg ich herab zur Erden,
denn es soll wieder Weihnachten werden!“
Ich sprach:“O lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist;
Ich soll nur noch in diese Stadt,
Wo´s eitel gute Kinder hat.“
„Hast denn das Säcklein auch bei dir?“
Ich sprach: „Das Säcklein, das ist hier;
Denn Äpfel, Nuss und Mandelkern
Fressen fromme Kinder gern.“
„Hast denn die Rute auch bei dir?“
Ich sprach: „Die Rute, die ist hier;
Doch für die Kinder nur, die schlechten,
Die trifft sie auf den Teil, den rechten.“
Christkindlein sprach:“So ist es recht;
So geh mit Gott, mein treuer Knecht!“
Von drauss´vom WAlde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich´s hierinnen find!
Sind´s gute Kind, sind´s böse Kind?
Das Gedicht habe ich in meiner Theodor- Storm-Ausgabe gefunden, die 1980 im Nymphenburger Verlag erschienen ist. Dass die Kinder bei Storm fressen, nicht essen, ist mir jetzt erst aufgefallen. In einigen Veröffentlichungen im Internet haben ordentliche Menschen das auch korrigiert. Vermutlich habe ich meinen Eltern auch die korrigierte Fassung vorgetragen.
Ja, wir haben uns früher gewundert, dass die Kinder im Gedicht „fressen“. Vielleicht wurde das Wort früher ganz normel für „essen“ gebraucht?