Ein beschämender Vorfall!

Frau mit Kopftuch hält Kind auf dem Arm

(c) Barckhausen

Am 31. März berichtete der Weser-Kurier, dass in der Straßenbahn Linie 10 ein deutschnationalistisch angehauchter Fahrgast eine türkische Mutter mit ihrem Kind heftig angepöbelt hat. Aus Angst vor dem Mann rief sie per Handy die Polizei an.

Die Leitstelle der Polizei empfahl der sich massiv bedroht fühlenden türkischen Mitbürgerin, ihren Platz in der Bahn zu räumen und sich anderswo hinzusetzen, wohl deshalb, damit sich der deutsche Rüpel nicht provoziert fühlt. Diese Empfehlung erinnert mich fatal an Vorgänge aus meiner Jugend. Damals mussten jüdische Mitbürger/-innen, um Rempeleien aus dem Wege zu gehen, den Bürgersteig verlassen, wenn das aufgeblaseneAriervolk dahergeschritten kam.

Straßenbahn Innengang

(c) frauenseiten ; Greta Jebens

Personalmangel als Begründung?

Da wird mal wieder der Täter zum Opfer gemacht und lernt, dass er sich in unserem Land absolut sicher fühlen kann. Er braucht überhaupt nicht zu befürchten, zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Gegenteil, er wird noch darin bestärkt, dass er auch in Zukunft Mitmenschen unangefochten anpöbeln, nötigen und beängstigen kann. Es ist beschämend, dass niemand in der Bahn der Frau geholfen hat, es ist aber auch für mich fragwürdig, wie sich die Polizei verhält. Sie hat zufällig keine Zeit und keine Einsatzkräfte oder schätzt aus der Ferne das Geschehen als harmlos ein.

Der Personalmangel bei unseren Ordnungskräften ist nicht von der Hand zu weisen. Aber leider gewinne ich bei diesem Vorfall den Eindruck, dass solche, vielleicht weniger bedenklich erscheinenden Situationen nicht mehr angemessen bedient werden. Allerdings kann man sie für die Öffentlichkeitsarbeit instrumentalisieren. Da erfahren doch die Bürger/-innen mal wieder handfest, mit welchen Mängeln sich die Polizei herumschlagen muss. Effektive Unterstützung für Hilfesuchende bleibt dem Zufall oder dem Druck der Öffentlichkeit überlassen.

Alte Dame steigt mit Rollator in eine Straßenbahn

(c) Devrim Sahiner, frauenseiten.bremen

Unsicherheit ist vorprogrammiert

Allerdings könnten solche Experimente böse ins Auge gehen. Als alter Mensch und Steuerzahler glaubt man nicht richtig zu lesen, wie leichtfertig man sich nach all den NS-motivierten Vorfällen der letzten Monate in einer Polizeileitstelle verhalten hat. Nicht nur die Frau in der Linie 10, sondern auch die Polizei hatte Glück, dass diese Geschichte nicht eskaliert und völlig anders ausgegangen ist. Den oft geäußerten Ratschlag der Politik, man sollte schon Zivilcourage zeigen, aber möglichst doch zuerst die Polizei informieren, und auch den Ratschlag der BSAG, man könne jederzeit die Tips der Polizei Fahrer ansprechen oder via Leitstelle die Polizei rufen lassen, können Bremer Seniorinnen/ Senioren nach solchen Vorfällen doch gar nicht mehr ernst nehmen.

Die Aufrufe zur Zivilcourage erscheinen auch deshalb albern, weil bei jedem Eingreifen mit der Notwendigkeit von Abwehr gewalttätiger Akte des Angreifers gerechnet werden muss. Hat man dann keine verlässlichen Zeugen, kann man auch noch vom Angreifer/Täter wegen Körperverletzung angezeigt und für den persönlichen mutigen Einsatz von der Justiz bestraft werden. Trotz der späteren erfreulichen Hilfestellung durch einen jungen Fahrgast wird jedenfalls das Verhalten der Sicherheitskräfte bei dem Vorfall in der Linie 10 das Unsicherheitsgefühl älterer Menschen und deren zunehmende Zweifel an unserem Rechtsstaat weiter wachsen lassen.

Die Nachrichten in den Medien, dass viele Bürger/-innen für ihre Wehrhaftigkeit aufrüsten und manche erlaubten Abwehrmittel in den Waffengeschäften knapp geworden seien, sprechen für sich. Die Politik sollte endlich die Realitäten in unserer kapitalistisch organisierten und ebenso denkenden Gesellschaft sehen und die Spielregeln derart ändern, dass wieder sozialeres Denken und Handeln und auch das Rechtsbewusstsein und der Anstand wachsen. Dann könnten Kriminalität und bürgerliche Aufrüstung zurückgehen.

Gerd Feller

  1 comments for “Ein beschämender Vorfall!

  1. Elfie sagt:

    Da bleibt mir die Luft weg, wenn ich das lese. Und ich hoffe, wenn ich mal so etwas beobachte, dass ich mich als alte Frau trau laut zu werden…

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