Prüfung als faire Chance – auch für ein Flüchtlingskind?

zwei Frauen, Rückenansicht

(c)frauenseiten.bremen, Xie Mao

Seit wir in der Redaktion des Seniorenlotsen das Thema für den Monat Juni festlegten, geht mir das Thema „Prüfung“ nicht mehr aus dem Kopf. Egal, ob beim Radeln, beim Warten an der Kasse oder abends vor dem Einschlafen, das Thema beschäftigt mich.

Im Laufe unseres Lebens hatten wir so manche Prüfung abzulegen; egal, ob in der Ausbildung oder beim Ausprobieren eines Astes, wenn wir auf Bäume kletterten. Später hatte dann das Leben die richtig schweren Prüfungen für uns parat; Prüfungen, die ent-scheidend für unseren Lebensweg waren.

Mir kommt da ganz besonders eine Situation in den Sinn, die mich bis heute prägte.

Es war 1949; ich sollte von der Waldorfschule zu einer städtischen Oberschule wechseln. Da wir damals noch nicht in Bremen wohnten, galt es erst einmal, die passende Schule auszusuchen, denn ich war ja – bis wir endlich eine Wohnung in Bremen bekämen – eine Fahrschülerin. Also musste sie vom Hauptbahnhof in Bremen aus erreichbar sein. Da ich ein gutes Zeugnis hatte, waren wir guten Mutes, dass die Aufnahme klappen würde. Aber: weit gefehlt: ich fiel durch.

Alter Schulranzen

(c) Barckhausen

Meine couragierte Mutter meldete mich flugs bei einer anderen Oberschule an und, siehe da, ich bestand die Prüfung und wurde sogar vom Mündlichen befreit. Mit diesem Bescheid in der Hand, ging meine Mutter mit mir zur Direktorin der Schule, die mich nicht wollte, und bat um Klärung. Die Direktorin dieser Schule, gelegen im vornehmen Schwachhausen, meinte dann lakonisch: „Ach, wissen Sie, Ihre Tochter hätte doch als Flüchtlingskind nicht so recht hier her gepasst.“ Das war hart und wirkt bis heute nach. Ich ging meinen Weg auch ohne diese Schule. Es war halt eine „Prüfung“ der ganz besonderen Art. Eine prägende.

Heute kommt mir diese Erfahrung aus ganz aktuellem Anlass immer wieder in den Sinn: wir haben wieder Flüchtlingskinder unter uns; hoffentlich werden sie nicht aus solchen Gründen ausgesondert. Ich wünsche jedenfalls allen „fremden“ Kindern, dass sie freundlich aufgenommen werden und selbstbewusst ihren Weg gehen dürfen.

Gisela E. Walther

  1 comments for “Prüfung als faire Chance – auch für ein Flüchtlingskind?

  1. Hedwig sagt:

    Hallo, Frau Gisela, bei uns fand die Auslese in der vierten Klasse statt. Es kamen nur Kinder von Honoratioren unserer Stadt dafür infrage. Ich bekam keine Empfehlung. Später bin ich dann mit Begeisterung auf dem zweiten Bildungsweg marschiert. Dort habe ich eine Studentin kennengelernt, die die Prüfung zwar bestanden hatte, aber zu hören bekam „du gehörst hier gar nicht hin“. Das hatte sie total entmutigt. Resümee: Nicht nur Flüchtlingskinder wurden aussortiert.

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