Der Tod kam zu früh

Wald im Nebel

(c)v. Hacht

Fred ist tot. Er wurde 46 Jahre alt. Fred war ein Freund unserer Kinder. Sie haben zusammen im Sandkasten gespielt. Später haben sie sich aus den Augen verloren. Auch zu seiner Familie hatte er die letzten Jahre keinen Kontakt mehr. Er wollte das so. Doch nun stand letzte Woche die Polizei vor der Tür seiner Schwester, der nächsten Angehörigen, und überbrachte die traurige Nachricht, dass Fred in einer U-Bahn zusammengebrochen war, und der Arzt nur noch seinen Tod feststellen konnte.

Warum dieses Ende?
Fred hatte einen guten Start ins Leben. Seine Eltern sorgten liebevoll für ihn und seine Schwester. Die Familie gehörte, wie wir, zu einem großen Freundeskreis. Unser Leben war geordnet: Wir waren verheiratet, die Männer arbeiteten in gesicherten Verhältnissen, wir hatten uns unsere Häuser eingerichtet, die Kinder waren gesund. Das war in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch das Glück währte nicht ewig. Irgendwann ging die Leichtigkeit des Seins verloren. Ehen wurden geschieden. Einer suchte mit seiner Familie sein Glück in Afrika. Eine Freundin starb an Alkoholvergiftung. Doch trotz dieser späten ungesicherten Verhältnisse haben wir es geschafft, dass unsere Kinder ihren Platz im Leben gefunden haben. Nur eins nicht: Fred.

Er war Doktor der Zahnmedizin, Mitglied einer Burschenschaft, hatte erfolgreich in einer Praxis gearbeitet, ohne Not gekündigt und dann wieder bei seinen Eltern Unterschlupf gefunden. Als seine Mutter eine Treppe hinunterstürzte und er sie aufhob, starb sie in seinen Armen. Danach wurde der Vater krank und musste gepflegt werden. Weil für beide die Rente des Vaters nicht reichte, musste das Elternhaus verkauft werden. Gegen den Willen von Fred. Eine Ersatzwohnung in der Nachbarschaft lehnte er ab. Danach verlor sich seine Spur.

Chorea Huntington
Eine Erklärung für dieses traurige Schicksal gibt es vielleicht. Freds Mutter war an Chorea Huntington erkrankt. Eine Erbkrankheit, die schwere Störungen des Gefühlslebens und der Mimik auslöst. Erst seit 1993 kann man diese Krankheit sicher bestimmen und auch nachweisen, ob man daran erkranken wird. Ob Fred die Untersuchung machen ließ, weiß niemand. Seine Leiche wurde verbrannt, und die Urne mit seiner Asche in einem Urnenfeld auf dem Kirchenfriedhof seiner Heimatstadt beigesetzt. „Das wollte er so, “ erklärte seine Schwester, “ darüber haben wir einmal gesprochen.“
Zu seiner Trauerfeier kamen Angehörige aus ganz Deutschland. Die junge Pastorin fand einfühlsame Worte für diesen Menschen, der ohne eigene Schuld sich irgendwann selbst verloren hat. Am Ende brachte er die Familie und ihre Freunde noch einmal zusammen. Es waren zwanzig Personen.

Kleine Brise

  3 comments for “Der Tod kam zu früh

  1. Ellen sagt:

    Ein erschütternder Bericht. Den sollten alle lesen, bei denen alles glatt ging im Leben: keine Scheidung, kein Tod, keine schlimmen Krankheiten. Diese Menschen entwickeln zuweilen eine Arroganz, die niemanden hilft, am wenigsten ihnen selbst.

    • Freiwillige sagt:

      Oft ist es auf Beerdigungen so, dass man sich vornimmt sich doch ab und an zu treffen und nicht nur zu solchen Anlässen.
      Leider hat einen der Alltag dann wieder im Griff, und es bleibt bei den guten Vorsätzen.
      Insa

  2. Karo sagt:

    Meine Freundin starb vor 10 Jahren. Seitdem treffen wir uns jedes Jahr im Monat ihres Todestages. Ihre ehemaligen Freundinnen und ihre enge Familie kommen dann zusammen. So sehen wir, was aus und all denen geworden ist, die wir ohne die Klammer, die sie dargestellt hat, aus den Augen verloren hätten. Und wir freuen uns für sie an der Entwicklung, die ihre Enkelkinder nehmen. Insgesamt ein Treffen, das durch die Wiedersehensfreude geprägt ist und von fröhlichen Gesprächen über unsere Freundin.

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