Wenn es doch immer so einfach wäre, das Erben und Vererben. So einfach, wie Kinder es sehen und verstehen! Meine Lütte – sechs Jahre – ist ein paar Tage zu Besuch. Sie beginnt eine Entdeckungstour durch Schränke und Schubladen – je bunter und glänzender, umso besser. Und da ist er: der Schmuckkasten! Blitzende Augen, vorsichtige Finger, erwartungsvolles Staunen.

Ich werde selbst ganz melancholisch, sind doch so viele Erinnerungen damit verbunden. Angefangen von den Ringen. Als erstes zeige ich auf den mit dem blass schimmernden Rosenquarz: „Schau, den habe ich zum Abitur von meinen Eltern geschenkt bekommen“. Ich nehme ihn zum besseren Betrachten heraus. „Und diesen hier, hab‘ ich von meiner Omi geerbt.“ Ein bescheidener goldener Ring mit Schnörkeln und einem dunkelroten Granat. „Ich kann mich noch gut erinnern, dass Omi ihn immer getragen hat. Leider ist er mir viel zu eng – er passt nur auf meinen kleinen Finger!“ und lege ihn andächtig zurück.

„Was ist ‚geerbt‘?“ Sie liegt fast in dem Schmuckkasten und fragt ernsthaft und interessiert. „Ja, also, wenn jemand gestorben ist und möchte, dass von seinen Sachen jemand ganz Bestimmtes etwas ganz Bestimmtes – zum Beispiel diesen Ring- bekommt, damit jetzt der andere sich daran erfreuen kann und sich immer an ihn erinnert.“
Ich muss gerade ein bisschen schlucken und mein Blick fällt auch deshalb auf den schönsten Ring, eine ganz besondere Perle.“ Diese Perle hat mein Papi für meine Mami von ganz weit her mitgebracht und ein Goldschmied hat sie dann zu diesem Ring gemacht.“ „Booh!“ „ Und nun trage ich diesen Ring, seit meine Mami gestorben ist – und ich freue mich immer wieder daran und denke dabei an meine Eltern.“

Sie hat ihren Kopf ein wenig schief gelegt und schaut mich ganz fasziniert an – man sieht förmlich, wie sich ihre Gedanken drehen! „ Gell, wenn du gestorben bist, dann kriegt die Mama ihn, und wenn die Mama gestorben ist, dann kriege ich ihn – suupiee!“ und dann geht sie zum nächsten Schmuckstück in meinem Kasten über und damit zur Tagesordnung…

Bettina Stiller