Ja, wir werden älter, älter als je zuvor

Senioren auf einer Bank auf dem Deich

(c) frauenseiten, Robers

So bekommen wir auch Alterskrankheiten, die man früher gar nicht erlebte, weil man einfach viel früher starb.

So hat mir mein Professor nach der Augenoperation (nasse Macula-Degeneration) offen ins Gesicht gesagt: „Es ist nichts zu machen, Sie haben Pech, dass Sie so alt geworden sind“. Ich war nicht beleidigt, nein, ich lachte sogar und er wunderte sich. Darauf antwortete ich schlicht, dass er ja die Wahrheit gesagt hätte. Ich zählte damals gerade 63 Jahre. Aber auch die Generationen, die nicht so alt werden konnten, hatten ihre Alterskrankheiten. Das wurde still aufgefangen, begleitet vom Familienverbund und Heilerinnen oder Heilern in der Umgebung, denn zum Arzt gehen bedeutete damals ein Vermögen auszugeben. Ich kann das bewusst berichten, weil ich eine Großmutter hatte, die Heilerin war und auch in meinen Kindertagen immer alles wegbekam, was Kinder so befällt.

Krank oder einfach alt?

Rose in alter Hand

(c) Jasmin Pervez

Vor kurzem habe ich in einem Vortrag gelernt, dass Demenz keine Krankheit ist, es ist schlicht Altern. Es ist auch nicht Alzheimer, wie so schnell gesagt. Die Demenz kommt natürlich Einigen als Einnahmequelle gerade recht und so ist es inzwischen, dass sie als Krankheit gehandhabt wird. Meine in diesen Tagen 90 Jahre alt werdende Tante ist dement. Sie erkennt mich nicht mehr, sagt „Sie“ zu mir und ist – wenn ich es ganz ehrlich benennen soll – dabei, sich vom Erdenleben zu verabschieden. Sie ist nicht mehr ganz da und auch noch nicht weg. Sie kann natürlich nicht mehr alleine sein und lebt in einem guten Heim. Da spielt sie dann ihr bekannte Spiele mit ihren Mitbewohnerinnen und Bewohnern. Kommt Ihr Sohn mit selbstgebackenem Kuchen zu Besuch, herrscht Freude auf der ganzen Station. Ja, dieser Duft geht in die Nase und weckt Erinnerungen. Ich habe beobachtet, dass viel Belastendes sie gar nicht mehr erreicht, eine ganz eigene Welt ist nun die ihre.

Was früher war, wird zeitweise genau erinnert, die Gegenwart ist wie ausgeblendet. Es ist auch schlicht ein Nachlassen aller Funktionen, aber noch Leben und eben langsames Verabschieden von dieser Welt. Ihr ist auch nichts mehr peinlich, das war eine besondere Erkenntnis für mich. Es ist so ähnlich wie bei ganz kleinen Kindern, denen ist auch nichts peinlich. Sie werden gesäubert und umhegt und gepflegt und so sehe ich an meiner Tante irgendwie, dass sie wie zu ihren Kindheitstagen zurückgekehrt ist, bevor sie sich dann ganz verabschiedet.

So gut es geht zurechtkommen

Person am Telefon

(c) Anziferow, frauenseiten

Ja, aber die eben voll dabei sind, denen sind manche Krankheiten peinlich, sie sprechen nicht darüber und Viele habe auch Scheu, sich ihrem Arzt zu offenbaren. Auch hat der Arzt nur wenig Zeit und empfindliche Menschen werden dadurch immer mitteilsarmer. Wir sind ja nun fast ein Viertel der Bevölkerung, wir, die wir in Rente sind. Davon sind sehr Viele fit, andere eben auch verbraucht, ganz ehrlich vom Leben im Krieg und danach tüchtig strapaziert. Und doch beobachte ich gerade bei diesen Menschen auch einen wirklich beachtenswerten Umgang mit ihrem Älterwerden und allem, was da an Beschwerden dazukommt. Sie sind sehr tragefähig und jammern selten, sehen zu, dass sie so gut es geht zurechtkommen. Ich mache das ja auch, deshalb wäre es wirklich gut, Anlaufstellen extra für genannte Alterskrankheiten zu wissen, die man aufsucht, wenn es einem geraten scheint und wo man Informationen bekommen kann, um dann den Gang zu einem entsprechenden Arzt anzutreten.

Wo gibt es kompetente Menschen mit Kraft und Willen, die da mitarbeiten würden? Ja, es geht immer mehr darauf hin, dass wir in Selbsthilfegruppen uns gegenseitig helfen. Alles, was Institution ist, rechnet und dann ist es gleich unbezahlbar. Eine gute Erfahrung, die einer von uns gemacht hat, die kann man ganz frei und ehrlich weitergeben und sie hilft vielleicht einem Menschen in ähnlicher Lage. Zumindest kann es ein Versuch werden.

Noch eine Empfehlung

Zum Schluss kann ich mit gutem Gewissen die Bücher von Prof. Dr. Dr. Dörner empfehlen, den ich in einigen Vorträgen im Bildungszentrum der Bremer Heimstiftung – Alte Rembertischule – kennengelernt habe. Sein Thema ist: Die positive Antwort auf Demenzerkrankung. In dieser Sache forscht er in Deutschland schon über 10 Jahre und entwickelt Ideen für den Umgang damit in der Zukunft.

Elisabeth Kriechel

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